Aufsatz(gedruckt)1997

Gegen "Kotkunst", Schmutz und Schund: Sauberkeitsphantasien in kunst- und kulturkritischen Diskursen

In: Sozialwissenschaftliche Informationen: Sowi, Band 26, Heft 1, S. 28-35

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Abstract

"Seit der Reichsgründungszeit findet man in kunst- und kulturkritischen Diskursen vermehrt Begriffe und Argumentationsmuster, die den Vorstellungswelten von 'sauber' und 'schmutzig' zuzuordnen sind. Das gerade im konservativen Bildungsbürgertum weitverbreitete Unbehagen an der kulturellen Moderne sowie die Unfähigkeit, den Herausforderungen einer sich pluralisierenden Gesellschaft und Kultur liberal zu begegnen, fördern die Bereitschaft, Kunst/Kultur und Gesellschaft streng dichotom wahrzunehmen und alles Bedrohliche und Unbekannte mit dem Stigma des 'Schmutzigen' zu belegen. Diejenigen Kunstrichtungen, die zur Herstellung einer intakten nationalkulturellen Identität in Dienst genommen werden sollen, werden über Schmutz- bzw. Sauberkeitsphantasien von denjenigen Stilen abgegrenzt, die als internationaler, eigentlich 'undeutscher' Import in die deutsche Kunstseele empfunden werden. In der Abwehr des Naturalismus, Impressionismus und der Decadence etwa entwickeln sich Argumentationsmuster, die fortan jegliche Diskussion über 'Schmutz und Schund' in Kunst und Literatur dominieren. Unter den noch problematischer gewordenen gesellschaftlichen Bedingungen von erster Nachkriegszeit, Revolution und Inflation spitzen sich derartige Denkmuster weiter zu. Ihre scheinbare Plausibilität verdanken sie der Tatsache, daß das kulturkritische Räsonnement durchaus in der Lage ist, reale Krisenphänomene anzusprechen und mit wissenschaftlichen Termini aus Medizin, Hygiene und Rassenlehre zu bezeichnen. Dominanter und gesellschaftspolitisch folgenreicher aber als derartige Anleihen aus wissenschaftlichen Fachsprachen ist die emotional-psychopolitische Aufladung der jeweiligen Schmutz- bzw. Sauberkeitsphantasien. Die Literaturpolitik des Nationalsozialismus kann mühelos an diese Traditionen aus Wilhelminismus und Weimarer Republik anknüpfen und die 'Säuberung des Kunsttempels' in ihrem Sinne realisieren." (Autorenreferat)

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