Rede zum Thema "Verteidigung" von Helmut Schmidt vom 10.06.1959
In: Legislaturperiode 3 des deutschen Bundestags
Abstract
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat sich die Behandlung des Verteidigungshaushalts ein wenig aufgeteilt. So wird im Laufe dieser Debatte z. B. mein Freund Dr. Schäfer die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Erfolg der Wehrpolitik der Bundesregierung unter dem finanzwirtschaftlichen Aspekt aufwerfen. Ich möchte dieselbe Frage einmal unter dem Aspekt aufrollen, unter dem sie sich der Truppe selber darbietet. Ich glaube, das Verteidigungsministerium weiß selber, daß die Truppe mit sehr vielen Sorgen und sehr vielen Nöten belastet ist. Es wird gut sein, wenn über diese Sorgen und Nöte auch hier im Parlament einmal offen gesprochen wird. Inzwischen sind eine ganze Menge Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause mit Sachkenntnis ausgestattet, eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen haben sich die Bundeswehr an Ort und Stelle angeschaut. Sie werden also den Wahrheitsgehalt dessen, was ich zu sagen beabsichtige, durchaus kontrollieren können. Ich möchte mit einer allgemeinen Feststellung vorweg beginnen, mit der Feststellung, daß in der Truppe der Bundeswehr im allgemeinen ein guter Geist herrscht. Ich sage ausdrücklich: ein der Truppe. Natürlich gibt es wie überall sonst im Leben auch dort Ausnahmen. Aber man ,muß wirklich sagen, daß vieles anders als in der vormaligen Wehrmacht isst, daß manches besser ist und daß guter Wille vorhanden ist, es noch besser zu machen; das ist an vielen Orten deutlich spürbar. Das gilt erfreulicherweise sowohl für die Masse der Kompaniechefs und der Kommandeure als auch für die Masse der Unteroffiziere. Main kann mit Befriedigung feststellen, daß die Grundsätze der inneren Führung, wie das Parlament sie gewünscht hat, sich tatsächlich durchsetzen, wenn auch manche Truppenoffiziere und manche Kommandeure ein wenig eifersüchtig auf diese Richtlinien sind und gar zu gern sagen, das hätten sie früher auch schon immer so gemacht. Das ist aber nicht immer der Fall, meine Damen und Herren. Natürlich — das wird niemand verkennen — ist die Erziehung der Führer und Unterführer in einer Truppe nach den Vorstellungen einer demokratischen Gesellschaftsordnung ein langdauernder Prozeß. Es wird denn auch sehr lange noch etwas zu tun sein, die Aufgabe ist noch lange nicht gelöst. Eis gibt dort auch schwarze Schafe. Es gibt unbelehrbare "Kommißköppe", und es gibt verkrampfte Karrieristen, es gibt auch Opportunisten und Radfahrer. Alle diese Typen wird eis überall immer geben, nicht nur in der Truppe, auch sonst in der Gesellschaft, sogar in einem Parlament. Es gibt tatsächlich auch eine kleine Minderheit intransigenter Nazis in der Truppe. Aber ebenso gibt es auch in der Wolle gefärbte Demokraten von Courage. Das möchte ich persönlich mit Dankbarkeit feststellen. Der Aufbau einer in der Substanz demokratisch und republikanisch gesonnenen Wehr ist in Deutschland ein neuartiges und deshalb 'besonders schwieriges Unterfangen. Es ist ein langer Weg, der heute noch vor uns liegt, und das Ergebnis ist noch ungewiß. Mit einer gewissen Erleichterung kann man feststellen, daß die bisher zurückgelegte Strecke dieses Weges im großen und ganzen in einer richtigen Himmelsrichtung beschritten worden ist. Aber die Fortsetzung des Weges hängt von vielerlei Bedingungen ab, von der allgemeinen Entwicklung unserer Gesellschaft, unseres Staates, von der Entwicklung der Führung unseres Staates, der Führung der Bundeswehr. Wie groß hier überall die Gefährdungen sind, das ist uns ,allen, nehme ich an, deutlich. Aber der Weg in die Zukunft hängt auch von Faktoren innerhalb der Bundeswehr selber ab, z. B. von der Frage, wie sich die jungen Berufssoldaten entwickeln werden, die in den letzten Jahren zum erstenmal Soldat geworden sind, um jetzt Vorgesetzte zu werden. Wenn man diese jungen neuen Vorgesetzten vor sich hat, gewinnt man den Eindruck einer erfreulichen Frische. Sie sind voller Zivilcourage, diese jungen Männer, sie sind selbständig im Denken, sie sprechen das aus, was sie denken. Auf der anderen Seite werden Sie hören, wenn Sie mit den Fähnrichsoffizieren oder den Aufsichtsoffizieren der Offiziersschulen sprechen, daß die jung ausgebildeten Nachwuchsoffiziere später, wenn sie zur Truppe versetzt worden sind, von dort her in sehr vielen Fällen schon an ihre früheren Ausbildungsoffiziere recht ,enttäuschte Briefe geschrieben haben. Es gibt ebenso im Unteroffizierskorps eine Reihe von durchaus gutwilligen, strebsamen, tüchtigen jungen Leuten, die aus der Bundeswehr enttäuscht wieder ausscheiden, weil ihre Vorstellungen, die sie sich von der allgemeinen Entwicklung der Truppe gemacht haben, an der Stelle, wo sie eingesetzt wurden, nicht erfüllt worden sind. Ein Hauptgrund für vielerlei Mißstände in der Bundeswehr liegt in den enormen materiellen und personellen, d. h. Ausbildungserschwernissen, unter denen die Truppe an fast allen Orten zu leiden hat. Die Ausbildung in der gegenwärtigen Bundeswehr ist in den allermeisten Fällen ein kunstvolles System von Provisorien und Aushilfen. Ich gebe ein paar Beispiele, meine Damen und Herren, etwa unter dem Aspekt "Ausrüstung". Mir scheint, man muß einmal vor diesem Hause einige Einzelheiten ausbreiten, damit sich das Parlament der Gefahr entzieht, immer nur außenpolitisch-strategische Erörterungen zum Wehrproblem anzustellen und die Tatsachen des Alltags dabei zu übersehen oder nicht zur Kenntnis zu nehmen. Unter dem Stichwort Ausrüstung darf ich z. B. erwähnen, daß ich erlebt habe, wie eintausend Soldaten im Pistolenschießen ausgebildet werden sollten. Aber für diese tausend Soldaten waren bei der Truppe nur zwei ganze Pistolen vorhanden. Oder ich darf erwähnen, daß ich Einheiten in der Bundeswehr kenne, die noch nicht einmal zwei Jahre existieren, die noch in der Aufstellung begriffen sind und die trotzdem während dieser kurzen Aufstellungsperiode bereits drei verschiedene Gewehre gehabt haben. Die Leute mußten also dreimal an einem anderen Gewehr ausgebildet werden: zunächst am Canadian rifle, dann am amerikanischen Gewehr M 1, nun an dem FN-Gewehr; und es steht in Aussicht, daß sie demnächst das deutsche Sturmgewehr kriegen. Dann werden sie also zum viertenmal an einem anderen Gewehr ausgebildet. Das mag für die Wehrpflichtigen ziemlich gleichgültig sein — sie scheiden ja nach einem Jahr wieder aus —, aber für die Unterführer, die Ausbilder selber, ist das von ganz erheblicher Bedeutung. Das ist nicht nur bei den Gewehren so, das gibt es auf mancherlei Gebieten. Zum Beispiel hat das Bundesverteidigungsministerium es für richtig gehalten, mich zu einer kurzen Übung bei einer Truppe einzuziehen, wo ich erlebt habe, daß die berufsmäßigen Soldaten, die späteren Unterführer also, die Ausbilder innerhalb einer Aufstellungsperiode, die noch nicht einmal zwei Jahre umfaßte, insgesamt an drei, zum Teil an vier verschiedenen Waffen ausgebildet worden sind, was immer zur Voraussetzung hatte, daß sie für vier, sechs oder acht Wochen auf einen Kursus, in eine Schule, einen Lehrgang geschickt wurden, um diese Waffen kennenzulernen. Die Folge ist in solchen Fällen natürlich, daß keine Sache richtig beherrscht wird. Ich habe an anderer Stelle auch gesehen, daß personell voll aufgefüllte Einheiten — mit dem Einziehen sind Sie ja schnell bei der Hand gewesen — z. B. in bezug auf die Zahl ihrer Fahrzeuge unzureichend ausgestattet waren, daß sie nur ein Viertel der Kraftfahrzeuge zur Verfügung hatten, die notwendig gewesen wären, um alle Soldaten zu befördern, wenn es ins Gelände ging. Es gibt auch personell aufgefüllte Einheiten, die in bezug auf die Waffen nur zur Hälfte ausgestattet sind, Einheiten, die zwar über Kanonen verfügen, aber nicht über die Feuerleiteinrichtung, die für die Ausbildung das beinahe noch wichtigere Element ist als die Kanonen. Es gibt auch Fernmeldebautrupps, die keine Stangen haben, um daran die Strippen zu ziehen. So gibt es viele, viele Beispiele, die ich Ihnen hier noch weiter vortragen könnte. Verständlicherweise drängen die Kompaniechefs, die Bataillonskommandeure auf die volle Ausstattung, da man die Kompanien und die Bataillone ja längst personell voll aufgefüllt hat; sie sollen die Soldaten an Waffen ausbilden, die sie nicht besitzen. Wenn sie aber auf volle Ausstattung drängen, bekommen sie von oben Befehle — auch die habe ich bei Truppenbesuchen gesehen —, in denen wörtlich steht: Die Erstausstattung wird der Truppe zugewiesen — also von oben —, und es wird der Truppe untersagt, ihrerseits Gerät anzufordern; sie soll gefälligst warten, bis es kommt. Es gibt Tausende von Soldaten der Bundeswehr - das werden viele hier im Saal bestätigen können, und viele Soldaten draußen, die das später nachlesen, werden mir recht geben müssen —, die bis heute noch niemals eine scharfe Handgranate gesehen, geschweige denn geworfen haben. Auf Grund all dieser Mängel bei der Ausstattung kommt es in der Ausbildung der Bundeswehr in sehr, sehr vielen Kompanien, in sehr, sehr vielen Bataillonen immer wieder zu einem schrecklichen Leerlauf. Das alte Soldatenwort: "Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens" gilt leider bei der Bundeswehr heute genauso wie für jede andere Wehr, die einmal vorher bei uns in Deutschland bestanden hat. Ich darf vielleicht die Damen und Herren von der Rechten darauf aufmerksam machen, daß in einem ihnen sehr nahestehenden Blatt, im ,,Rheinischen Merkur", in der letzten Woche ein überaus intelligenter, kluger Aufsatz sich über eine ganze Seite mit diesen Schwierigkeiten beschäftigt hat, die ich nur gestreift habe. Es gibt Beispiele, meine Damen und Herren, etwa aus der groß angelegten Lehr- und Versuchsübung 1958, die ja in der Presse — nicht nur in der deutschen Presse — ein so großes Echo gefunden hat und deren Ergebnisse dazu geführt haben, daß die ganze Bundeswehr umgerüstet und umgegliedert wurde, Beispiele, wo Truppen, die an diesem Manöver teilgenommen haben, in aller Eile drei und vier und fünf Tage vor Beginn des Manövers ihre Ausstattung aus Schwesterkompanien und aus Schwesterbataillonen zusammenklauben mußten und wo sie diese Ausstattung mit Waffen, mit Kraftfahrzeugen, mit Kraftfahrern und anderen Spezialisten unmittelbar nach der Übung wieder an die Schwestereinheiten haben abgeben müssen. Ich habe aus dem Munde von Truppenführern sarkastische Bemerkungen über den großen Türken gehört, den diese Lehr- und Versuchsübung 1958 der Öffentlichkeit vorgeführt hätte. Ich kann, falls das bezweifelt werden sollte, darüber sehr viele Beispiele im einzelnen bringen. Die mangelhafte Ausstattung der Bundeswehr ist eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, wieviel Geld das Parlament in sehr großzügiger Weise für die materielle Ausrüstung zur Verfügung gestellt hat, und wenn man betrachtet, wieviel Geld das Verteidigungsministerium per cassa schon ausgegeben hat. Das hat eine Reihe von Gründen. Im Augenblick möchte ich einmal die überaus große Schwerfälligkeit des ganzen bürokratischen Apparats innerhalb der Bundeswehr und insbesondere in ihrer Spitze, im Verteidigungsministerium, hervorheben. Ich habe neulich einmal Gelegenheit gehabt, mir von dem Hauptmann und Führer eines Feldzeugzuges den Leidensweg des Papierkrieges vorerzählen zu lassen, den der arme Mann führen muß, wenn er eine Bakelitverschraubung im Werte von 1,20 DM auf dem freien Markt kaufen muß, weil der Nachschub sie noch nicht liefern kann. Meine Damen und Herren, Sie machen sich keine Vorstellung von diesem Papierkrieg! Oder aber, wenn das zum Visier eines Gewehrs gehörige Korn mit dem Kornring im Gelände verlorengegangen ist! Der Papierkrieg, den der arme Kerl führen muß, um erst einmal zu beweisen, daß es verlorengegangen ist, und um es in Abgang zu stellen, und dann der Papierkrieg, den er führen muß, um das neue Korn zu beschaffen — er ist unvorstellbar. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel, nun nicht auf dem Gebiet der Materialwirtschaft, sondern der Personalwirtschaft. Wenn ein junger Freiwilliger — ein Mann also, der als Soldat auf Zeit Unteroffizier werden möchte — eingestellt wird, dann muß die Schreibstube dieser Kompanie folgende Papiere, Dokumente, Akten, Fragebogen erledigen — ich muß das einmal vorlesen —: erstens einen dreifachen Bewerbungsbogen von insgesamt 30 Seiten Umfang, zweitens eine dreimalige Anlage zum Bewerbungswogen, dann je nachdem, ob es in Frage kommt, natürlich die Einwilligung der Eltern, dann die Verpflichtungserklärung — zweifach —, dann die Schuldenerklärung des Mannes - zweifach —, dann die Erklärung über die Mitgliedschaft bei einer verfassungswidrigen Partei — dieses dreifach —, dann ein Prüfungsbericht über den Mann, dann ein Einberufungsbescheid, ein Einplanungsvermerk in bezug auf die Besoldung, dann eine Dienstantrittsmeldung, eine Mitteilung an die Kasse über den Beginn seiner Eignungsübung, ganz zu schweigen von den Urkunden wie Geburts- und Heiratsurkunde, die erforderlich sind, dann die Arbeitsbescheinigung, ein Arbeitgeberzeugnis des Mannes, wo der Freiwillige gearbeitet hat, dann das Lehrzeugnis seiner vorangegangenen Lehre — wenn Sie die Papiere, die in einer Kompanieschreibstube für einen einzigen Freiwilligen geprüft und zum Teil ausgefüllt und weitergeschickt werden müssen, einmal aufeinanderlegen, stellen Sie fest — ich habe mir das angeschaut —, daß sie zusammen den Umfang einer wohlgenährten Wochenzeitung ausmachen, meine Damen und Herren. Und alles das muß die Schreibstube auf einer einzigen Schreibmaschine erledigen. Mehr Schreibmaschinen stehen ihr nicht zu. Es steht ihr auch nicht etwa eine Sekretärin oder Stenotypistin zu, sondern das macht ein Soldat, und zwar in aller Regel ein junger wehrpflichtiger Soldat, der eigentlich draußen auf dem Kasernenhof ausgebildet werden sollte. Da er eine kaufmännische Lehre hinter sich hat und im Zivilleben im Büro gearbeitet hat, ist nur er für diese entsetzlichen Papierkriegsarbeiten tauglich. Infolgedessen wird er in die Schreibstube geholt. Da muß man schon Verständnis für den Kompaniechef haben; das geht gar nicht anders, zumal es bei dem Papierkrieg, den ich eben erwähnt habe, gar nicht aufhört. Nun geht die eigentliche Arbeit nämlich erst los, nachdem die ganzen Einstellungspapierchen ausgefüllt, bearbeitet, registriert und weggeschickt worden sind. Nun bekommt der Mann eine Nummer. Er bekommt eine Ausbildungs- und Tätigkeitsnummer im gegenwärtigen Militärjargon heißt das "eine ATN". Das ist eine siebenstellige Nummer. Sie gibt an, für welche Dinge dieser Mann nach dem Urteil dessen geeignet ist, der ihn eingestellt hat, er bekommt also eine siebenstellige Einstellungs-ATN. Aber er sollte sich vielleicht später einmal in einer anderen Richtung entwickeln; das prognostiziert man nun und erteilt ihm gleich eine zweite siebenstellige Nummer. Das ist die HauptATN. Nun könnte es sein, daß er zwischenzeitlich auf einem anderen Dienstposten verwendet wird. Auch darüber erteilt man ihm sogleich eine siebenstellige Nummer. Das ist die Dienst-ATN. Nun kommt man vielleicht auf die Idee, daß der Mann später einmal in einer ganz bestimmten Richtung gefördert werden soll, besonders im Hinblick darauf, daß er eine sechs- oder zwölfjährige Dienstzeit vor sich hat. Deshalb bekommt er wieder eine siebenstellige Nummer. Das ist die Leit-ATN. Dann könnte es sein, daß sich im Laufe der Zeit ergibt, daß er eben doch nicht Radarfachmann wird, sondern daß er innerhalb des Fernmeldesektors Telefoniefachmann wird. Deshalb bekommt er noch eine Neben-ATN. Ein solcher Satz von siebenstelligen Nummern wird nun dem Mann in die Akten geschrieben, und er muß sie durch seine Unterschrift anerkennen. Er muß begriffen haben, was da über ihn verfügt wird. Wenn er unterschrieben hat und wenn auch der Kompaniechef unterschrieben hat, dann geht es nach Bonn. Dann kann kein Mensch mehr etwas ändern. Nur Bonn kann noch etwas ändern. Wenn also nun der Kompaniechef von einem solchen Mann den Eindruck hat, daß er als Kraftfahrer doch nicht taugt, weil er nach seiner Persönlichkeit nicht zuverlässig genug oder weil seine Reaktionsgeschwindigkeit nicht groß genug ist, daß der Mann also vom Bock herunter muß und nicht Kraftfahrer werden kann, sondern eine andere Ausbildung bekommen muß, dann muß dieser arme Kompaniechef nach Bonn schreiben und darum bitten, daß die ATN-Nummer dieses Mannes geändert wird. Nach drei Wochen schreibt Bonn zurück: "Ja, das kann ja sein. Aber wir möchten das noch etwas näher begründet haben." Dann schreibt der Kompaniechef einen zweiten Brief nach Bonn an die Stammdienststelle. Wenn er Glück hat, ist das Ganze nach fünf oder sechs Wochen geregelt. Inzwischen hat natürlich der verantwortungsbewußte Kompaniechef den Mann längst von dem Kraftfahrzeug herunter genommen. Es hätte ja etwas passieren können. Also in der tatsächlichen Ausbildung ist bereits alles längst im richtigen Lot. Aber der Papierkrieg hängt hinten nach. Mit dem Papierkrieg muß sich der arme Chef abquälen. Übrigens ist es mit diesen Nummern noch nicht zu Ende. Der Mann bekommt noch viel mehr Nummern. Bei dem Papierkrieg, den der Kompaniechef mit der Stammdienststelle in Bonn führen muß, nützen diesen fünf Nummern gar nichts, obwohl sie sieben Stellen haben, wie ich eben erwähnt habe. Hier muß der Kompaniechef den Papierkrieg für den Schützen Meier unter einer Aktennummer führen, und zwar nicht unter der Aktennummer, die die Kompanie festgelegt hat, sondern unter der Aktennummer, die die Stammdienststelle in Bonn dem Schützen Meier gegeben hat. Nrn könnte man meinen, damit wäre es genug. Nein, außerdem hat der Schütze Meier für das maschinelle Berichtswesen noch eine andere Nummer, die nur für ihn persönlich zutrifft. Aber damit noch nicht genug! Er hat außerdem noch eine Erkennungsmarke auf der Brust zu tragen, heute ist sie vereint mit dem Strahlendosimeter. Da steht auch eine Nummer drauf. Das ist wieder eine andere Nummer. Es wäre ja schrecklich, wenn die Nummern übereinstimmten; das wäre viel zu einfach. Nun geht es weiter. Jetzt hat der Mann noch einen Truppenausweis. Da steht wieder nicht die Nummer seiner Erkennungsmarke drauf, da steht auch nicht die Nummer für das maschinelle Berichtswesen drauf. Da steht keine der bisher erwähnten Nummern drauf, sondern da steht wieder eine ganz andere Nummer drauf. Außerdem ist der Truppenausweis auch noch laufend numeriert; er hat also zwei Nummern. Damit ist es immer noch nicht genug. Außerdem trägt der Mann wieder eine andere Nummer in bezug auf die Besoldung durch die Bundeswehr, da hat er also wieder ein anderes Kennzeichen. Wenn ich die Aufzählung vollständig machen will, muß ich noch erwähnen, daß schließlich und endlich — ich glaube, wir sind bei Nummer 12 oder 13 — der Mann auch noch persönlich eine Stärke-und Ausrüstungsnachweisnummer, eine Stan-Nummer, hat. Das ist geradezu horrend. Über all diese vielen Nummern, die der Mann trägt, muß der arme Kompaniechef, d. h. sein Schreiber, d. h. der wehrpflichtige Soldat, der eigentlich auf dem Kasernenhof stehen und ausgebildet werden sollte, in der Schreibstube Buch führen; sonst vergißt man sie ja. Der Mann selber kann die Nummer nicht behalten. Stellen Sie sich das einmal vor! Infolgedessen sitzen die Kompaniechefs der Bundeswehr je nach den Erfahrungen, nach dem verwaltungsmäßigen Können ihrer Schreibstubenleute und ihres Spießes mindestens zwei, in aller Regel drei und in vielen Fällen vier Stunden am Tage am Schreibtisch und müssen Unterschriften leisten. Wenn die schmutzige Wäsche zur Wäscherei gegeben wird, muß ein Offizier bescheinigen, wieviel Unterhosen und wieviel Hemden da sind. — Natürlich hat er sie nicht selbst gezählt, sondern er unterhaut das blind, wie er ja in all diesen Fällen des Papierkriegs für Dinge, die er gar nicht mehr kontrollieren und übersehen kann, blind Unterschriften leisten muß. Meine Damen und Herren, dabei wäre der Kompaniechef — jetzt wird es wieder etwas ernster — auf dem Kasernenhof und auf dem Ausbildungsplatz wirklich dringend notwendig. Da gehört nämlich der Kompaniechef hin; er gehört nicht in die Schreibstube. Das Verteidigungsministerium zwingt ihn, in der Schreibstube zu sitzen, um den Papierkrieg zu führen. Aber er gehört zur Ausbildung, insbesondere deshalb, weil es ihm in seiner Kompanie an einem erfahrenen Kompanieoffizier fehlt. Das ist auch ganz natürlich. Wir haben eben diese Lücke in dem Nachwuchs. Das ist ganz zwangsläufig. Er kann gar keinen erfahrenen Oberleutnant oder erfahrenen Leutnant haben. Er hat bestenfalls einen blutjungen Offizier, dem er keinswegs allein die Ausbildung anvertrauen kann, sondern den muß er ja selber erst in der Ausbildung anlernen. Nehmen Sie einmal einen Fall wie damals das Iller-Unglück; das passierte doch deshalb, weil der Kompaniechef gezwungen war, in der Schreibstube Papierkrieg zu führen, und weil er gezwungen war, die Ausbildung von Unteroffizieren leiten und überwachen zu lassen, die dieser Aufgabe noch nicht gewachsen waren. Der Mangel an jungen Offizieren ist natürlich zwangsläufig, nachdem so viele Jahre dazwischen fehlen. Auch die Überalterung des Offizierskorps im allgemeinen ist zwangsläufig. Aber ich meine, man sollte die Gefahren, die in der Überalterung des Offizierskorps der Bundeswehr liegen, nicht unterschätzen, insbesondere nicht die Gefahr, die darin liegt, daß die Bundeswehr über eine allzu große Zahl von wiedereingestellten Stabsoffizieren verfügt. Wir haben geradezu eine Inflation von Stabsoffizieren in der Bundeswehr. Nur der allergeringste Teil von ihnen wird in der Truppe verwendet, kann in der Truppe verwendet werden. Die große Masse ist in den vielerlei Stäben und Dienststellen tätig. Ich habe einmal im Haushalt der Reichswehr nachgeblättert. Meine Damen und Herren, in Reichswehrzeiten kamen auf 1000 Soldaten 7 Stabsoffiziere. In der Bundeswehr kommen auf 1000 Soldaten 40 Stabsoffiziere, wobei, wie ich bemerke, die 40 Stabsoffiziersstellen alle besetzt sind, während die Mannschaftsstellen im Haushalt nicht alle besetzt sind, sondern erst im Laufe des auf das Haushaltsjahr folgenden Halbjahres besetzt werden. In der Reichswehr kamen auf 1 Stabsoffizier 3 Leutnante und Oberleutnante. In der Bundeswehr haben wir mehr Stabsoffiziere als Leutnante und Oberleutnante. Es ist ganz klar, daß man sich Leutnante und Oberleutnante nicht aus dem Handgelenk schütteln kann; aber mir erscheint es als durchaus fraglich, ob man diesem Mangel damit begegnen kann, daß man um so mehr Majore, Oberstleutnante und Obersten schafft. Alle diese älteren Herren können natürlich nur in den Dienststellen und in den Stäben beschäftigt werden; und wenn sie dort sitzen und ihre Stellung haben, wollen sie auch etwas tun. Was bleibt ihnen da anderes übrig, als Papierkrieg anzufangen, den die Truppe unten bewältigen muß. Der Bundesverteidigungsminister hat neulich einmal in einer Unterhaltung, in der über dieses Problem gesprochen wurde, gesagt, er gebe zu, das sei eigentlich gar kein Personalkegel in der Bundeswehr; er hat selber den Ausdruck geprägt, es sei eigentlich mehr ein "Bundesbürger mit fettem Bauch." Es ist eine sehr lustige, aber treffende Formulierung. Diese Sache läßt sich nicht unbedingt von heute auf morgen regulieren, aber ich meine doch, daß das Ministerium nun langsam dazu kommen muß, Konsequenzen zu ziehen. Unter diesem Aspekt halte ich persönlich es für gut, daß z. B. niemand mehr zum Major befördert werden kann, der nicht eine Stabsoffiziersprüfung abgelegt hat. Ich finde das ausgezeichnet. Übrigens sollte man das auch, scheint mir, für Reserveoffiziere vorschreiben. Man sollte aber auch eine Konsequenz daraus ziehen: Wer nämlich diesen Lehrgang nicht besteht, wer die Qualifikation zum Major nicht bekommt, der muß nun aber nach einer angemessenen Zeit aus der Truppe herausgezogen werden und in die Nachschuborganisation oder sonstwohin getan werden, und nach einer angemessenen Zeit muß er überhaupt ausscheiden und den Platz für jüngere Leute frei machen. Der Begriff der Majorsecke aus dem Kaiserreich wäre, so scheint mir, ganz praktisch für die heutige Bundeswehr. Ich würde diese Ecke nicht nur beim Major, sondern auch bei den nächstfolgenden Stabsoffiziersdienstgraden für durchaus zweckmäßig und angemessen halten. Vielleicht wäre es gut, wenn die seit langer Zeit angekündigte Verordnung über die Altersgrenzen in der Bundeswehr nun wirklich bald mal in Kraft träte. Sicherlich, man kann mit solchen Maßnahmen dem Mangel an jungen Offizieren nicht begegnen. Aber man könnte auch auf diesem Gebiet etwas tun. Weswegen klammert sich eigentlich die Bundeswehr so an die Voraussetzung des Abiturs? Die Luftwaffe hat einen großen Bedarf an Flugzeugführern, an jungen Offizieren als Flugzeugführer. Die Amerikaner haben es längst aufgegeben, dafür die formelle Voraussetzung des Abiturs zu verlangen. Der Mann soll sein Flugzeug führen können, darauf kommt es an. Weswegen ist das bei uns in Deutschland nicht möglich? Zweifellos hat der Soldat Anspruch darauf, von einem gebildeten Offizier geführt zu werden. Aber ich möchte fragen: Bietet eigentlich das Zertifikat des Abiturs wirklich eine Gewähr für die Bildung dieses Vorgesetzten? Ich meine, es gibt auch außerhalb des gymnasialen Bildungsstandes Tausende von fähigen und geistig wohlausgerüsteten jungen Männern in Deutschland, insbesondere Männern, die in der Lage sind, ein Flugzeug zu führen. Wenn Sie schon nicht über Ihren konservativen Schatten mit dem Abitur springen können, weswegen geben Sie dann nicht wenigstens jungen Unteroffizieren, von denen Sie das Gefühl haben, daß sie etwas taugen und fähig sind, die praktische Möglichkeit, nach kurzer Dienstzeit in die Oiffizierslaufbahn überzuspringen? Ich weiß, daß das theoretisch möglich ist. Aber ich weiß, daß die praktischen Fälle in der Bundeswehr geradezu mit der Lupe gesucht werden müssen. Es sind aus alten Zeiten eine große Zahl von Offizieren heute in der Bundeswehr, die kein Abitur haben. Die sind aber nicht unter der Federführung des gegenwärtigen Verteidigungsministers oder seines Vorgängers das erstemal Offizier geworden, sondern unter der Federfühung seines Vorvorgängers. Ich meine also, daß diese fast lückenlose Wiederherstellung der formellen Bildungsschranke für den Zugang zur Offizierslaufbahn ein Rückschritt und daß es außerdem eine sehr unpraktische Schranke ist. Denn der Mangel an jungen Offizieren ist sehr groß. Ein 42jähriger Kompaniechef ist auf die Dauer genauso ein Unding wie ein 38jähriger Feldwebel und Zugführer. Ein 40jähriger — ich bin 40 Jahre alt, meine Damen und Herren — kann dem 19- oder 20jährigen Soldaten nicht mehr das vormachen, was ihm vorzumachen er eigentlich können müßte. Das ist ganz ausgeschlossen. Und ein Ausbilder, der dem Auszubildenden das nicht vormachen kann, was der tun soll, ist auf die Dauer nicht am richtigen Platz. Der Altersabstand der heutigen Truppenvorgesetzten gegenüber der Jugend, die eingezogen wird, ist einfach zu groß. Es wird Zeit, daß hier Abhilfe geschaffen wird. Es gibt einen bestimmten Teil des Offizierskorps, der nicht so überaltert ist; das sind die Generalstabsoffiziere. Das hängt damit zusammen, daß sie so schnell befördert werden. Ich will hier nichts Schlechtes über ,die Generalstabsausbildung sagen. Ich bedaure nur sehr, daß man gemeint hat, es sei unbedingt notwendig, denen wieder ein besonderes Abzeichen zu geben. Ich höre mit großen Bedenken, daß einige von ihnen schon wieder davon träumen, sich rote Hosen anziehen zu können. Ich wäre dankbar, wenn Herr Strauß die Gelegenheit benutzte, um einmal offiziell klarzustellen, daß diese Absicht nicht besteht. Sonst müßte man die Generalstabsoffiziere an die Tradition eines großen deutschen Generalstabschefs erinnern, der das Wort in die Welt gesetzt hat: "Mehr sein als scheinen." Das mit den roten Hosen schlägt dieser Tradition geradezu ins Gesicht. — Mit den roten Streifen an der Hose; aber sehr breiten Streifen, Herr Kollege Vogel. Ich möchte noch eine Einzelbemerkung zur Personalwirtschaft machen. Uns scheint es ein ausgesprochener Mangel im Einzelhaushalt des Verteidigungsministeriums zu sein, daß für Offiziersplanstellen keine Stellenbewertung vorgenommen wird, wie das für sämtliche Beamtenstellen aller übrigen Einzelpläne selbstverständlich ist. Hier ist dem Ministerium eine sehr große Dispositionsmöglichkeit geboten, die uns nicht zweckmäßig erscheint. Nun möchte ich einige Bemerkungen über das Unteroffizierkorps anknüpfen. Ich meine, daß wir beim Aufbau der Bundeswehr die Probleme der Unteroffiziere noch wichtiger nehmen sollten als die Probleme im Offizierkorps. Dieser Bundestag kann, meine ich, stolz sein auf die Verdienste, die er sich bei der Einstufung der Unteroffiziersdienstgrade erworben hat, allein schon bei der rein besoldungsmäßigen Einstufung, die leider Gottes in Deutschland sehr häufig den Anhaltspunkt für die allgemeine Wertschätzung und gesellschaftliche Einstufung bildet. Das Parlament hat insbesondere bei den höheren Unteroffiziersdienstgraden die Einstufung sehr angehoben: es hat die neuen Stabsfeldwebel- und Oberstabsfeldwebelstellen geschaffen, die dem mittleren gehobenen Dienst gleichkommen. Meine Parteifreunde können hier besonders zufrieden sein, daß das geglückt ist. Das Hauptmotiv, das das Parlament bei diesen Bemühungen gehabt hat, war, dem Unteroffizier wirkliche Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, ihm die Möglichkeit zu geben, sein Selbstbewußtsein wachsen zu lassen, einen natürlichen Berufsstolz zu entwickeln, einen Berufsstolz, bei dem er es nicht nötig hat, sich auf die verkrampfte Machtausübung gegenüber Untergebenen .abzustützen. Die Himmelstoß-Typen, die Platzek-Typen, die es in Deutschland und auch in anderen Militärländern immer wieder gegeben hat, die es in Deutschland in besonders hohem Maße gegeben hat, kamen doch eigentlich immer nur dort vor, wo die Unteroffiziere durch das Offizierkorps als Pufferschicht gegenüber der Masse der Soldaten mißbraucht wurden, sie kamen dort vor, wo man dem Unteroffizierkorps, wo man dem einzelnen Unteroffizier nicht die Möglichkeit gegeben hat, sich selber frei nach seinen Fähigkeiten und Leistungen zu entwickeln. Diese Platzek-Typen sind das Symptom, das Ergebnis einer Situation, in der die Tendenz bestand, auf jeden Fall ,den Unteroffizier in seiner subordinierten Stellung zu halten. Diese Vergangenheit, meine Damen und Herren, scheint mir allerdings in der Bundeswehr noch nicht überall überwunden zu sein, gerade was die Einstellung gegenüber dem Unteroffizierskorps angeht. Mir scheint, daß wir ein besonderes Augenmerk auf diesen Punkt richten sollten. Ich gebe Ihnen auch hier ein paar Beispiele. Es war z. B. die Absicht bei der Hebung dieser höheren Unteroffiziersdienstgrade, wohldotierte Stellen für qualifizierte Techniker in der Bundeswehr zu schaffen, die dort etwa den Rang eines Feldwebels. oder Hauptfeldwebels haben, z. B. für einen Hauptbootsmann in der Marine, der als Fachmann zwei Dieselmotoren zu je 6000 PS zu fahren hat, oder z. B. für einen Hauptfeldwebel bei der Luftwaffe, der als Oberwerkmeister die Aufsicht, das heißt nicht die Dienstaufsicht, sondern die technische Leitung, die arbeitsmäßige Organisation in einer großen Flugzeughalle hat, wo Flugzeuge repariert werden, mit 80 bis 100 Soldaten, die da arbeiten, und mit 40 oder 50 Zivilarbeitern, Facharbeitern, die da arbeiten. Solchen Leuten wollten wir eine entsprechende Aufstiegsmöglichkeit geben. Aber was geschieht in der Praxis? In der Praxis müssen dieser Bootsmann und dieser Oberwerkmeister, wenn sie nun also Stabsfeldwebel und Oberstabsfeldwebel werden wollen, eine Verwaltungsprüfung machen; und da werden sie geödet mit Dingen, die sie nie in ihrer Praxis erlebt haben und die sie in ihrer Praxis nie brauchen werden. Bei dieser Verwaltungsprüfung sind sie dann natürlich ihren Konkurrenten, die beispielsweise aus der Rechnungsführerlaufbahn emporgestiegen sind, weitgehend unterlegen. Die Prüfungen sind völlig verwaltungsmäßig zugeschnitten. Sie sind aber auch für das Zivilleben nicht zu gebrauchen. Ein Unteroffizier oder ein Feldwebel etwa, der heute ein Patent hat, auf Grund dessen er bei der Marine bestimmte Schiffe fahren oder bestimmte Schiffe steuern darf, kann mit diesem Patent nachher draußen in der zivilen, der Handelsschiffahrt nicht ohne weiteres etwas anfangen. Ich glaube, nicht einmal ein Militärführerschein für ein Kraftfahrzeug gilt draußen etwas, und umgekehrt. Das heißt also: ein Oberwerkmeister, der in der Bundeswehr eine Prüfung zum Stabsfeldwebel macht, kann gar nicht damit rechnen, daß diese Prüfung draußen in seinem Beruf anerkannt wird. Sie wird mit Recht nicht anerkannt, kann nicht anerkannt werden, denn sie ist auf reine Verwaltung und allgemeine militärische Kenntnisse abgestellt. Ich glaube, hier ist sehr viel zu tun. Wenn ich einen Oberwerkmeister in seinem Beruf, in seiner Spezialfunktion fördern will und das von einer Prüfung abhängig mache, dann soll diese Prüfung so beschaffen sein und von solchen Fachleuten abgenommen werden, daß sie ihm auch später in seinem Zivilleben etwas nützt, daß er das Prüfungszeugnis dort vorzeigen kann. Außerdem wäre unter dem Stichwort "Offiziersmangel", nachdem der Verteidigungsminister sich jetzt entschlossen hat, seine Inspektoren, Oberinspektoren und Amtmänner, die bei der Truppe den Wehrsold auszahlen und die Verpflegung ausgeben, in Uniform zu stecken und ihnen militärische Dienstgrade zu verleihen, angesichts dieser Absicht vielleicht zu überlegen, ob das Verhältnis gegenüber den Stabs-und Oberstabsfeldwebeln noch in Ordnung ist, die wir ja doch in den mittleren gehobenen Dienst eingebaut haben, d. h. die den Rang eines Inspektors, Oberinspektors und Amtmannes haben sollten. Ich glaube, daß dies noch zu prüfen sein wird, ehe man zur Tat schreitet. Da ich von der Verwertbarkeit der in der Bundeswehr erworbenen Kenntnisse bei den Feldwebeln und Unteroffizieren gesprochen habe, möchte ich darauf hinweisen, daß der berufsfördernde Unterricht, auf den diese Soldaten Anspruch haben, zwar im Gesetz steht, aber bisher praktisch an den meisten Stellen nicht verwirklicht werden konnte. Ich will manchen anderen Aspekt des Unteroffiziersproblems beiseite lassen. Mein Freund Frenzel wird insbesondere zu der für die Unteroffiziere besonders schwierigen Wohnungsfrage sprechen. Ich persönlich möchte dem Verteidigungsminister nur empfehlen: Gehen Sie doch einmal, Herr Strauß, zu Ihrem Kollegen, dem Herrn Wohnungsbauminister! Vielleicht gelingt es Ihnen, ihm klarzumachen, daß die sogenannten sozialen Mieten völlig untragbar sind. Sie jedenfalls können es aus Ihrer Bundeswehr heraus beweisen. Was da den Unteroffizieren an Mieten zugemutet wird, ist völlig unerträglich und eigentlich unverständlich. Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, das zusammenzufassen, und möchte sagen: Für die auf Zeit und auf Lebenszeit dienenden Unteroffiziere und Feldwebel müssen Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie persönlich etwas leisten können und unter denen sie auf Grund ihrer persönlichen Leistungen aufsteigen können. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, unter denen sie das Gefühl bekommen können, einen eigenständigen Wert im Verhältnis sowohl zu den Offizieren in der Bundeswehr als auch im Verhältnis zur zivilen Umwelt zu haben. Ich glaube nicht, daß der Herr Verteidigungsminister auf dem richtigen Wege ist, den Berufssoldaten ein eigenständiges gewachsenes Lebensgefühl zu geben, wenn ich mir z. B. die Heiratsordnung ansehe, die er jüngst erlassen hat. In dieser Heiratsordnung steht: Die Braut soll aus ehrbarer Familie stammen, sie darf keine Beziehungen zu staatsfeindlichen Kreisen haben usw. usw. Wie ist das eigentlich, Herr Verteidigungsminister, wenn die Braut nun doch ein uneheliches Kind ist? Ist die Familie dann noch ehrbar, oder wie ist das gemeint? Und wenn der Vater der Braut ein Trinker wäre, was hat das mit der Braut zu tun? Und wenn der Vater einmal Kommunist gewesen wäre, was hat das mit der Braut zu tun? Ich möchte wissen, meine Damen und Herren, mit welchem Recht auf Grund dieses Heiratserlasses sich der Dienstvorgesetzte in die höchstpersönlichen Angelegenheiten der Soldaten einmischen soll. Ich möchte wissen, mit welchem Recht jemand anordnen kann, daß über die Braut des Soldaten in der die Personalsachen des Soldaten bearbeitenden Dienststelle eine Akte angelegt wird. So steht es nämlich darin. Das scheint mir mit unseren Vorstellungen von einem freiheitlichen Staat schlechterdings unvereinbar zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß z. B. das Ministerium oder seine Personalabteilung eine Akte über die Braut eines Ministerialrats anlegt. Das tut man offenbar nur bei Unteroffizieren. Da ich bei den Übergriffen gegenüber der persönlichen Freiheit bin, möchte ich auch einen oder zwei Sätze über den militärischen Abwehrdienst sagen, im Militärjargon MAD genannt. Das ist auch ein Thema, das man in der Truppe häufig berührt und bei dem es viel Kritik gibt. Dieser MAD ist in der Sache sicherlich irgendwie notwendig; ich will das nicht bestreiten. Aber die Methoden, mit denen diese Einrichtung arbeitet, sind zum Teil dilettantisch. Da wird die staatspolitische Zuverlässigkeit von Soldaten, die längst Vorgesetzte, die längst Kommandeure sind, nochmals geprüft. Aber mit welchen Methoden! Da fragt man deren Nachbarn, Onkel und Tanten aus, und wer früher mal mit ihm ein Bier getrunken hat, der gibt ein Urteil über die Zuverlässigkeit des Hauptmanns oder des Feldwebels ab; und dann wird in der Stille ein Urteil darüber gefällt, ob dieser Mann geeignet ist, Träger militärischer Geheimnisse dieses oder jenes Grades zu werden. In manchen Fällen kommt man dann zu dem Ergebnis, daß er nicht geeignet ist, und das wird ihm mitgeteilt; ihm wird aber nicht mitgeteilt, auf Grund welcher Tatsachen man zu diesem Ergebnis gekommen ist. Ihm wird keine Möglichkeit gegeben, sich zu den Tatsachen zu äußern, die zu dieser Abqualifikation geführt haben, sondern er muß das hinnehmen. Er muß auch all die Laufbahnnachteile und Berufsnachteile hinnehmen, die mit dieser Abqualifikation begründet werden. Er erfährt nicht, warum und wieso, und kann sich nicht äußern. Ich meine, daß hier tatsächlich die Grenzen des Rechtsstaats angeritzt, nein, verletzt sind. Auf der anderen Seite ist aber dieses selbe Verteidigungsministerium überaus großzügig. Durch Zufall hat ein Bonner Journalist neulich herausgebracht, daß da ein Adjutant des Inspekteurs der Luftwaffe sich unter einer Reihe von betrügerischen Manipulationen, falscher Dienstgrad angegeben und alles mögliche, in die Bundeswehr hineingemogelt hat. Er wurde sogar Adjutant von einem General. Und dann hat man das gemerkt. Man hat ihn hinausgeworfen. Man hat ihn nicht etwa beim Staatsanwalt angezeigt, man hat ihn ganz klamm-heimlich entfernt. Durch Zufall hat es jemand in die Presse gebracht. Und dann ist der Staatsanwalt von sich aus aktiv geworden. Er hat den Mann gegriffen; er hat ihn sogar verhaftet. Die Bundeswehr hat nichts getan. Wenn man gegenüber so offenkundig defraudanten Fällen, in denen der Staatsanwalt das Vergehen für so groß hält, daß er den Mann sofort einbuchtet, eine solche Großzügigkeit an den Tag legt, dann kann ich es schlechterdings nicht verstehen, daß einem Offizier die Qualifikation, Geheimnisse bewahren zu können, abgesprochen wird, weil er früher einmal mit Kommunisten oder mit Sozialdemokraten oder ähnlichem Gelichter zusammen Bier getrunken hat. Das paßt nicht zusammen. — Ja, ja ich habe da meine Beispiele. Ich kann Ihnen ,auch Einzelheiten bringen, wenn Sie es wünschen. Ich kann Ihnen Beispiele dafür geben, daß Leute leinfach hinausgeworfen wurden, weil sich nachträglich herausstellte, daß sie Sozialdemokraten waren. — Ja, es muß auch einmal einer eingestellt werden. — Das wäre auch sehr ungeschickt von Herrn Strauß gewesen, wenn er den Herrn Beermann nicht eingestellt hätte. Aber ich wollte gar nicht mit den Wehrexperten der CDU in ,einen Disput geraten, sondern ich wollte wirklich die materiellen Sorgen der Truppe vor Ihnen ausbreiten. Ich möchte noch einmal zum Unteroffizier zurückkehren. Die Ausbildung einer Truppe steht und fällt mit den Ausbildern, cl. h. mit den Unteroffizieren. Unsere jungen Unteroffiziere sind heute noch sehr unsicher, insbesondere gegenüber dem jungen Facharbeiter, der da als Rekrut eingezogen wird, der vorher schon 350 oder 400 DM verdient hat, der in seinem Beruf etwas leistet und stolz darauf ist. Den jungen Unteroffizieren wird nicht genug Führung gegeben. Sie können sich nicht anlehnen, sie werden versetzt und verschoben, ein halbes Jahr in diese Kompanie, ein viertel Jahr auf jene Schule, dann wieder sechs Wochen auf diesen Lehrgang. Es ist ja keine Ruhe in der Truppe. Ich kenne ein Bataillon, das aus 1000 Soldaten besteht und voll aufgefüllt ist. Es sollte eigentlich 200 Unteroffiziere zur Ausbildung der Soldaten und für die Spezialistenstellen haben. Dieses Bataillon hatte zu einem bestimmten Zeitpunkt nur 99 Unteroffiziere; die anderen waren ,einfach persönlich, beruflich und charakterlich noch nicht so weit, daß man sie zu Unteroffizieren hätte befördern ,und mit einer entsprechenden Funktion hätte beauftragen können. Das Bataillon hatte also 1000 Soldaten, aber statt der 200 Unteroffiziere nur 99. Gleichzeitig hatte dieses Bataillon bereits den Befehl, binnen eines halben Jahres, man höre und ,staune, 170 Unteroffiziere zur Aufstellung eines zweiten Bataillons abzugeben. Das sind die Methoden, unter denen in der Bundeswehr die Ausbildung vor sich geht. Die Folge ist, daß der Kommandeur zwangsläufig Leute zur Ernennung zum Unteroffizier einreichen muß, die eigentlich nach seiner eigenen Beurteilung noch gar nicht so weit sind; die nachher ,gegenüber den Rekruten falsch auftreten, die sich durch forciertes Auftreten durchzusetzen versuchen und was derartiger Nachteile mehr sind. Hinzu kommt, daß dann auch noch die Kompaniechefs dauernd wechseln. Ich habe eine Kompanie erlebt, die innerhalb eines einzigen Kalenderjahres vier Kompaniechefs hatte. Stellen Sie sich einmal einen Industriebetrieb vor, wo im Laufe des Jahres in einer Halle der Meister viermal wechselt! Stellen Sie sich vor, was da los ist! Als das öffentlich kritisiert wurde, hat Herr Strauß wörtlich gesagt: "Die Versetzungen und Kommandierungen der Bundeswehr sind das Ergebnis mühevoller Planung" — das glaube ich noch —, "die, soweit wie möglich, auf Truppe und Soldaten Rücksicht nimmt". Herr Verteidigungsminister, die Truppe lacht, oder wenn sie etwas taktvoller ist, zuckt sie auf diese Behauptung hin die Achseln. Auf die Truppe und auf die Soldaten wird bei dieser ganzen Personalwirtschaft nicht die Rücksicht genommen, die erforderlich wäre. Wenn Sie, Herr Minister, unter Bezugnahme auf die Erfahrungen, die der Herr Kollege Müller-Hermann in der Öffentlichkeit dargeboten hat, gesagt haben, in der Bundeswehr gelte der Grundsatz: Qualität vor Quantität, dann müssen Sie wissen, darüber wird bei den Kommandeuren nur die Achsel gezuckt. Diese Herren sind sehr höflich und können es sich nicht leisten, öffentlich gegen das aufzutreten, was ihr ziviler Oberbefehlshaber sagt. Aber gehen Sie mal in die Truppe, fragen Sie die Kommandeure! Sie haben z. B. einem Abgeordneten geantwortet das war nicht ich —, er habe bei seiner öffentlichen Kritik alle diese Dinge "voreilig und im Gegensatz zu den Urteilen erfahrener Truppenkommandeure" beurteilt. So haben Sie wörtlich gesagt. Fragen Sie mal die erfahrenen Truppenkommandeure unter Umständen, wo diese es wagen, wirklich das zu sagen, was sie wissen und was sie denken! Jeder Kommandeur wird Ihnen bestätigen, daß das Tempo der Neuaufstellungen eine sorgfältige Ausbildung verhindert. Neulich hat mir ein Brigadegeneral, der Kommandeur einer Brigade oder einer Division — ich weiß es jetzt nicht genau —, wörtlich gesagt: Langsamer und weniger wäre in Wahrheit schneller und mehr. Ich glaube, der trifft den Kern der Dinge viel besser als Sie mit Ihrem offiziellen Statement. Das liegt aber daran, daß Sie die Erfahrungsberichte der Truppe nicht lesen. Die Truppe muß alle vier Wochen einen Erfahrungsbericht einreichen. Darin bringt sie alle ihre Klagen vor. Sicher gibt es im Ministerium bestimmte Stellen, die diese Erfahrungsberichte auch abheften. Nur hat die Truppe nicht das Gefühl, daß sie zur Kenntnis genommen und daß dann auch die Sorgen behoben werden, die sie zum Ausdruck bringt. Ich habe dem Verteidigungsminister neulich vorgeschlagen, er möchte sich doch einmal wie weiland Harun al Raschid verkleiden und als Oberleutnant bei der Bundeswehr eine Reserveübung machen, damit er sähe, wie es wirklich aussieht. Er meinte, dazu sei es zu spät, das ginge nicht mehr. Damit hat er wahrscheinlich auch recht; das geht nicht mehr. Aber Scherz beiseite! Warum führen Ihre Inspekteure nicht regelmäßig Konferenzen mit den Kommandeuren der Truppe durch, auf denen diese sich aussprechen, auf denen sie einmal frei von der 1 Leber weg reden können, wo ihnen nicht gleich einer übergezogen wird, wenn sie sich etwas zu freimütig äußern? Ich meine nicht solche Konferenzen — wie das jüngst auch einmal geschehen ist — mit Kommandeuren, auf denen man diese über die Anrede "Gnädige Frau", über den Handkuß und dergleichen Dinge belehrt hat. Das scheint mir ziemlich überflüssig zu sein. Das war nicht eine so ganz untergeordnete Stelle, an der das vorgekommen ist. Wenn Sie diese Besprechungen mit den Kommandeuren hätten und wenn Ihre Inspekteure diese Besprechungen hätten, Herr Strauß, dann würden Sie wahrscheinlich Ähnliches zu hören bekommen wie das, was der Abgeordnete Wehner hier in diesem Hause vor einem Jahr ausgeführt hat — das habe ich nämlich ,in der Truppe häufig zu hören bekommen —: Wenn man die unerhörten finanziellen Aufwendungen des Bundeshaushalts an dem mißt, was tatsächlich militärisch damit erzielt wird, dann scheint die Anstrengung unverhältnismäßig im Vergleich zum militärischen Effekt. Dem Sinne nach habe ich diese Bemerkung nun schon sehr häufig bei Truppenbesuchen gehört. Es wäre ganz gut, wenn Sie sich auch einmal anhörten und wenn Sie im Einzelfall versuchten, dahinterzukommen, was der Anlaß für dieses Urteil durch die Truppenvorgesetzten ist. Das Vertrauen, das die Truppe in ihr Ministerium in Bonn hat, ist nämlich nicht sehr groß. Da gibt es böse Worte, die in der Truppe über das Verteidigungsministerium gebraucht werden. Leider, muß ich hinzufügen, hat, die Zivilcourage in Richtung nach oben, in Richtung Bonn, im Laufe dieser wenigen Jahre deutlich abgenommen. Das ist leider nicht nur eine Folge der sich festigenden militärischen Disziplin, sondern das ist eine Folge der militärischen Vorbilder, die von oben gegeben werden. Ich möchte eigentlich hinzufügen: seit der letzten Woche ist es auch eine Folge der zivilen politischen Vorbilder, die gegeben werden. Ich habe da neulich folgendes erlebt. Im Gespräch mit einem höheren Offizier wurde ein bestimmtes militärisches Problem behandelt. Ich sagte zu dem Herrn: Da muß aber der General XY — ich will den Namen einmal weglassen — dem Minister einen ganz klaren und deutlichen Vortrag über die Sache halten, das muß doch geregelt werden. Da sagte der Gesprächspartner: Was wollen Sie, die Helden sind müde geworden! Wenn an diesem Stoßseufzer etwas Richtiges war, meine Damen und Herren, dann gibt er mir Anlaß zu folgender Bemerkung. Die Generalität, die hohen, führenden Offiziere im Verteidigungsministerium, sollten die Entschlossenheit dieses Hauses zur Durchsetzung dessen, was wir "Civil Control" oder "politischen Oberbefehl" genannt haben, eine Entschlossenheit, in der wir uns nach wie vor einig wissen, nicht mißverstehen. Politischer Oberbefehl soll nicht heißen, daß der militärische Führer darauf verzichten darf, erforderlichenfalls auch seine Gegenvorstellungen zu erheben; er soll auch nicht heißen, daß der militärische Führer nicht gegebenenfalls auch Konsequenzen zieht und erträgt. Ich verstehe z. B. heute noch nicht, daß die obersten militärischen Berater damals den Herrn Blank in seine utopischen Pläne hineinstolpern ließen, obwohl sie sehr genau wußten, daß diese horrenden Aufstellungspläne mit diesen Zahlen und in dieser kurzen Zeit nach militärischen Erfahrungen — und sie hatten Erfahrungen mit der Aufstellung deutscher Truppen z. B. aus Reichswehrzeiten; das waren Leute, die diese Erfahrungen noch selber gewonnen haben überhaupt nicht zu verwirklichen waren. Hier war ein Fall, wo der militärische Berater kraft seiner Sachkenntnis hätte sagen müssen: So geht es nicht! Ich kenne noch mehr Fälle aus den letzten Jahren, wo ich gewünscht hätte, daß jemand einmal die Konsequenzen gezogen hätte. Täuschen Sie sich nicht, meine Herren: das Beispiel das Sie an der Spitze geben, wirkt in die Truppe hinein. Wenn ich vorhin mit Bedauern davon sprach, daß die Zivilcourage unserer uniformierten Staatsbürger deutlich im Abnehmen begriffen ist., so liegt das nicht zuletzt an dem Beispiel, das ihnen von oben gegeben wird. Das ist nämlich auch ein Gesprächsthema, das man in den Kantinen und in den Kasinos der Bundeswehr fast jede Woche berührt. Dort kann man fast jede Woche die eine oder andere Äußerung dazu in sich aufnehmen. Es gibt noch sehr viele andere interessante Themen, die in den Kasinos und Kantinen berührt werden. Interessanter noch sind die Gespräche, wenn man sie unter vier Augen führen kann. Unter vier Augen erfährt man, daß keineswegs alle Soldaten etwa mit der atomaren Ausrüstung einverstanden seien. Unter vier Augen erfährt man, daß keineswegs alle Soldaten für gewisse politische Reden, die ihr ziviler Oberbefehlshaber hält, auch nur Verständnis hätten. Gott sei Dank! Es hat mich sehr beruhigt, das im Gespräch mit den Soldaten zu erkennen. — Für mich hatten sie sehr viel Verständnis! Als ich zur Bundeswehr kam, hatte der Verteidigungsminister gerade der Presse verkündet, ich hätte die ganze Bundeswehr beleidigt. Als ich dann hinkam, habe ich davon nichts gemerkt, sondern ich wurde sehr freundlich und nett aufgenommen. Man hat mir viel mehr über die inneren Sorgen und Nöte der Bundeswehr erzählt, als dem Herrn Verteidigungsminister recht und lieb ist. Man hört z. B. im Kasino auch, und das hat mir Spaß gemacht, wie junge Fähnriche — das sind 22-bis 23jährige Offiziersanwärter — einen Militärpfarrer höflich haben abfahren .lassen, der ihnen etwas von der besonderen Standesehre des Offizierskorps vortragen wollte. Der Pfarrer hat mir keinen Spaß gemacht, wohl aber die jungen Leute, die das in einer glänzenden Form beantwortet haben. Das war eine befriedigende, eine beruhigende Erfahrung. Man hört in den Kasinos auch freundlichen Spott z. B. über jene zivile Gesellschaft ehemaliger Offiziere, die heute vom Verteidigungsministerium offiziell mit der Schulung des Reserveoffiziernachwuchses betraut ist. Ich will das nicht weiter ausführen und will niemandem zu nahe treten. Was mich aber bei all diesen Gesprächen, die man dort mit anhört und selbst mit führt, immer wieder und immer noch beunruhigt, das ist das vorsichtige, allzu vorsichtige Tasten und das allzu vorsichtige Umgehen der Frage nach dem staatspolitischen Standort der Bundeswehr. Hier spielt im Gespräch der Soldaten die ungelöste Frage nach der Tradition eine große Rolle. Als neulich der Herr General a. D. R a m c k e in Freiburg der Bundeswehr zurief: "Ihr seid Fleisch von unserem Fleisch" — damit meinte er: Geist von meinem Geist —, hat der Divisionsgeneral der Bundeswehr die Tagung verlassen. Sehr gut und in Ordnung! Er hat also gewußt, daß das einfach nicht mehr geht, daß man sich davon abgrenzen muß. Aber die eigene positive Substanz steht noch in Frage, meine Damen und Herren. Das ist mit dem bloßen Antikommunismus und mit dem NATO-Bewußtsein allein nicht zu schaffen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Auf der Genfer Konferenz hat der Westen in seinem Friedensplan den Gedanken entwickelt, Deutschland innerhalb von zweieinhalb Jahren wiederzuvereinigen. Ich stelle Ihnen die Frage: ist die Bundeswehr eigentlich in der geistigen Verfassung, um innerhalb einer Periode von zweieinhalb Jahren vereinigt zu werden mit dem, was wir drüben haben? Das ist eine Frage, deren Beantwortung vielleicht einen guten Maßstab zur Beurteilung der geistigen Substanz unserer eigenen Soldaten abgibt. Ist die Bundeswehr geistig stark genug, sich einem wie auch immer gearteten, wie auch immer organisierten und beaufsichtigten Verschmelzungsprozeß mit den Soldaten der DDR zu unterziehen? Wenn man diese Frage bejahen wollte — keiner von Ihnen wird sie heute bejahen können —, wenn man also zu einem Punkt in der Entwicklung kommt, wo man sagen kann: "Jawohl, das Risiko kann ich laufen, diese Frage kann ich nunmehr bejahen", dann wäre z. B. eine geistige Auseinandersetzung mit jenem Traditionsbild notwendig, das heute der Nationalen Volksarmee eingeimpft wird. Bei denen ist von den Bauernkriegen, von Gneisenau und Scharnhorst, von der 48er-Revolution — aber von der richtigen Seite dieser revolutionären Kämpfe — die Rede. Meine Damen und Herren, gegen solche Traditionen kann man nicht antreten wollen mit der kaiserlichen Marinetradition und mit Schiffsnamen wie "Admiral Scheer" und "Admiral Hipper", — ehrenwerte Männer, gegen die ich nichts habe. Warum nennen Sie Ihre Kriegsschiffe statt dessen nicht "Graf Stauffenberg" oder "Julius Leber"? Es ist doch nicht damit getan, daß man immer wieder beschwichtigend von oben sagt, die auf der einen Seite und die ,auf der anderen Seite am 20. Juli seien alle honorige Leute gewesen. Es ist doch nicht damit getan, daß Sie immer wieder beschwichtigend von oben sagen, man brauche Zeit zur Bewältigung der Vergangenheit. Es fehlt auch hier bei der oberen militärischen und politischen Führung am Mut zum Beispiel. Herr Verteidigungsminister, wie auch immer der einzelne Offizier zum 20. Juli steht, ist denn in der Bundeswehr noch ein Zweifel daran möglich, daß der Oberst Graf Stauffenberg und daß der Sozialdemokrat Julius Leber — um bei diesen beiden Namen im Augenblick zu bleiben — für die Freiheit ihres Vaterlandes gefallen sind? Ist noch ein Zweifel daran möglich, daß sie schlechthin Vorbilder für die Zurückstellung der eigenen Person sind, daß sie schlechthin Vorbilder auch für persönliche Tapferkeit sind, auf die es beim Soldaten so besonders ankommt? Weshalb zögern Sie? Ich weiß, daß Sie da einige tastende Versuche machen. Aber es ist mit der einen General-Beck-Kaserne in Sonthofen nicht getan. Meine Damen und Herren, damit bin ich am Schluß. Wenn die Bundeswehr eine Armee des ganzen Volkes sein und werden soll, ist ihre Grundlage, ihre Tradition nicht allein ihre eigene, sondern unser aller Angelegenheit; mein Freund Lohmar wird dazu noch des näheren Ausführungen machen. Ich für meine Person möchte nur der Mehrheit dieses Hauses zurufen: Wenn wir nicht wollen, daß eine Militärkaste wieder entsteht, wenn wir nicht wollen, daß die militärische Tradition eine Kastentradition wird, dann müssen wir uns alle darum bekümmern. Es ist nicht damit getan, meine Damen und Herren von der Rechten, daß Sie jedes Jahr, oder wann immer hier eine Wehrdebatte ist, mit sehr viel Beifall und sehr viel Aufmachung dafür sorgen, daß Ihre Anträge durchgehen. Kümmern Sie sich um Ihre Soldaten!
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