Thesis2008

Die Entwicklung des politischen Systems Nordkoreas

Abstract

Inhaltsangabe: Das Regime in Nordkorea fällt in der heutigen Zeit besonders durch ein Merkmal auf: Es ist neben Kuba das letzte totalitäre System sozialistischer Prägung. Unwillkürlich fragt man sich, warum sich das Regime in Pjöngjang bis zum heutigen Tag an der Macht halten konnte, zumal große Teile der unterdrückten Bevölkerung unter extrem schlechten Lebensbedingungen ums Überleben kämpfen. Es verwundert, dass die Armut und die anwachsende Unzufriedenheit in der nordkoreanischen Bevölkerung bisher zu keinem politischen Umsturz geführt haben. Diese Tatsache weckt das Interesse dafür, sich eingehender mit dem politischen System Nordkoreas auseinander zu setzen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem politischen System Nordkoreas als einem besonderen politischen Herrschaftssystem. Hans-Joachim Lauth betont, dass der Beschäftigung mit politischen Herrschaftsformen in der Politikwissenschaft ein hoher Stellenwert zukomme. Es liege ihr doch mit dem Topos der Herrschaft eine zentrale Kategorie des Politischen zugrunde. Die Darstellung eines politischen Systems hat nach Wolfgang Rudzio mehr zu umfassen als nur die staatlichen Institutionen, aber weniger als die Gesamtheit der Gesellschaft. Entscheidend ist, dass die Akteure und Rollenzusammenhänge offen gelegt werden, die den politischen Prozess zur Findung der gesamtgesellschaftlich verbindlichen Entscheidung maßgeblich beeinflussen oder gar legitim herbeiführen. Bezüglich einer präsidentiellen Demokratie würde man fragen, welche politischen Kräfte Einfluss auf wichtige Entscheidungen, wie z.B. die Einführung einer neuen Steuer nehmen. Neben den verfassungsmäßig fest verankerten Instanzen wie Präsident und Parlament haben oftmals auch bestimmte Interessenverbände wie Gewerkschaften und/oder Arbeitnehmerverbände einen Einfluss auf wirtschaftspolitische Entscheidungen. Die Besonderheit des politischen Systems Nordkoreas liegt nun in dem Umstand begründet, dass es als ein totalitäres System betrachtet wird. In der Vergleichenden Regierungslehre gilt das System als ein "kommunistisches Einparteiensystem". Da der erste Diktator der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK), Kim Il-sung, ab 1945 ein totalitäres Regime errichtete, das stalinistisch geprägt ist, bezeichnet Hans Maretzki das politische System der DVRK demonstrativ auch als "kimistisches System". Das Herrschaftssystem von Kim Il-sung wird im Folgenden als das politische System der DVRK betrachtet. Der Hauptteil der Arbeit besteht darin klar aufzuzeigen, wie sich dieses System von seinen Anfängen bis zu seiner heutigen Form entwickelte. Welche prägenden Ereignisse sind im Rückblick bedeutsam für die Entwicklung Nordkoreas hin zu dem totalitären System, als das es heute erscheint? Ist dieses System nach den beiden Totalitarismusforschern Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski ein wahres totalitäres System? Problemstellung: Das Kapitel 2 dient dazu, in die Thematik des Totalitarismus einzuführen. In den verschiedenen Abschnitten des Kapitels wird ein Totalitarismusbegriff systematisch entwickelt. Als Grundlage wurde dazu das Modell der beiden einschlägig bekannten Totalitarismusforscher Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski gewählt. Beide gehören zu den meist rezipierten Theoretikern des Totalitarismus. Zu Beginn des 2. Kapitels werden die wichtigsten Fakten hinsichtlich der Geschichte des Begriffs "Totalitarismus" ausgebreitet (s. Abschnitt 2.1). Hiernach werden die elementarsten Thesen der beiden erwähnten Totalitarismustheoretiker über die Thematik "Totalitarismus" systematisch erläutert (s. Abschnitt 2.2). In jeweils eigenen Unterabschnitten werden zentrale Behauptungen über die folgenden Schlüsselaspekte "Ideologie", "Rolle der Partei", "Staatsterror und Monopol der Massenkommunikationsmittel", "Totale Kontrolle über das Militär" und "Zentrale Lenkung der Wirtschaft" dargelegt. Die Thesen zu diesen insgesamt sechs Gesichtspunkten bilden nämlich das Totalitarismuskonzept Friedrichs und Brzezinskis. In Kapitel 3 soll dem Leser besonderes Hintergrundwissen bezüglich der Geschichte und der Kultur (Nord)Koreas vermittelt werden. Zuerst werden besondere geschichtliche Aspekte des Landes aufgegriffen und thematisiert (s. Abschnitt 3.1). Neben wichtigen Passagen der Entstehungsgeschichte Koreas wird ganz besonders auch die Zeit, in der Korea durch Japan besetzt war (Kolonialzeit 1910-1945), angesprochen. Die kollektive Verarbeitung der Erfahrungen der Besatzungszeit prägte die nationale Identität der (Nord)Koreaner nachhaltig und belebte den Patriotismus. Durch ein auf diese Weise gestärktes Nationalgefühl konnte in der DVRK später die stark nationalistische Chuch'e-Philosophie problemloser als Staatsideologie etabliert werden. Die Etablierung dieser Ideologie spielte bei der Entwicklung des politischen Systems eine besondere Rolle. Sie gilt heute als eine wichtige Stütze der Stabilität des gesamten Systems. Nach dem kurzen Blick auf die Geschichte folgt im direkten Anschluss ein Blick auf die Kultur (Nord)Koreas (s. Abschnitt 3.2). Die Ausführungen in diesem Abschnitt sollen auf die traditionellen Werthaltungen der Nordkoreaner beschränkt bleiben. Es wird in diesem Zusammenhang besonders der aus China stammende Neokonfuzianismus zur Erwähnung kommen. Der Einfluss neokonfuzianischer Werte in der (nord)koreanischen Gesellschaft führte u.a. zu einem ausgeprägten Hierarchiedenken in den Köpfen der Menschen. Davon blieb auch die politische Kultur des Landes nicht unberührt. Bei Rüdiger Frank heißt es, dass das politische Bewusstsein der Nordkoreaner "Untertanen-Elemente" aufweise. Darunter versteht man eine bedingungslose Ergebenheit gegenüber den staatlichen Institutionen. Das in der DVRK vorherrschende neokonfuzianische Denken förderte die öffentliche Akzeptanz für den kimistischen Führerstaat und für sein System. Für die Darstellung der Entwicklung des politischen Systems soll später auf einige Erkenntnisse dieses Abschnitts zurückgegriffen werden. Im Kapitel 4 folgt der Hauptteil der Arbeit. Es geht darum, die Entwicklung des politischen Systems der DVRK zu erläutern. Um eine Entwicklung darstellen zu können, muss das System zuvor mit seinen heutigen typischen Erscheinungsmerkmalen inklusive seiner Verfassung und seinem Staatsaufbau vorgestellt werden (s. Abschnitte 4.1.1 und 4.1.2). Nachdem die typischen Erscheinungsmerkmale aufgezeigt wurden, erfolgt die Rekonstruktion der Entwicklung des politischen Systems. Sie ist in zwei Entwicklungsstufen unterteilt. Zum einen wird die Rekonstruktion auf die Gründungszeit der DVRK (1948-1958) bezogen, und zum anderen auf die Zeit (1955-1982) der Etablierung der heutigen Staatsideologie Nordkoreas – die sogenannte Chuch'e-Philosophie. Beide Entwicklungsstufen überschneiden sich zeitlich gesehen um einige Jahre. Hierdurch soll nicht der Eindruck entstehen, die zweite Entwicklungsstufe ginge nicht aus der ersten hervor. Es soll lediglich gezeigt werden, dass es schwierig ist, beide Stufen zeitlich klar voneinander abzugrenzen. Zur ersten Stufe (1948-1958) In der ersten Stufe der Entwicklung soll der politische Aufstieg Kim Il-ungs thematisiert werden. Diese Stufe umfasst den Zeitraum von dem Jahr 1945 an, als Kim vom sowjetischen Militär mit ins Land gebracht wurde, bis zum Jahr 1958, als sich abzeichnete, dass er die alleinige Kontrolle über das Land gewonnen hatte. Der thematische Schwerpunkt des Abschnitts bildet die Person Kim Il-sungs. Seine extrem rücksichtslosen Methoden der Machtaneignung haben dem politischen System Nordkoreas schon bis zum Jahr 1958 einen deutlichen Stempel aufgedrückt. Gegen Ende der ersten Entwicklungsstufe glich das politische System bereits einer autokratischen Alleinherrschaft. Die Darstellung seiner Entwicklung soll daher zu einem beträchtlichen Teil mit dem Prozess der Machtergreifung Kim Il-sungs verknüpft werden (s. Abschnitt 4.2). Hierbei soll auch deutlich zur Erwähnung kommen, dass Kim sich, um in den Genuss der politischen Unterstützung der sowjetischen Besatzer kommen zu können, verpflichten musste, Elemente stalinistischer Herrschaftsmethoden zu übernehmen. Dieser Umstand hatte für die Realisierung von Kims Visionen eines kommunistischen Nordkoreas (und somit auch für die Entwicklung des politischen Systems) klare Konsequenzen. Zur Erläuterung des politischen Aufstiegs Kims sollen deskriptive und analytische Elemente miteinander verknüpft werden. Der Abschnitt soll mit einer Zusammenfassung abgeschlossen werden. Hierin wird besprochen, welche Bedeutung der im Abschnitt 4.2 zur Erwähnung kommende Aufstieg Kim Il-sungs für die Entwicklung des politischen Systems der DVRK bis 1958 hatte. Zur zweiten Stufe (1955-1982) Als zweite Stufe der Entwicklung des politischen Systems soll hier die Phase der Etablierung der Chuch'e-Ideologie als Staatsideologie genauer erläutert werden. Wie bereits erwähnt, wird das heutige politische System Nordkoreas als ein totalitäres System betrachtet. Zur Etablierung einer totalitären Herrschaft spielt bei Friedrich und Brzezinski vor allem die Ideologie eine wichtige Rolle. Das Propagieren und Verbreiten der Staatsideologie gilt als ein typisches Merkmal totalitärer Staaten. Der totalitäre Charakter eines Staates wird besonders daran deutlich, dass die Befolgung der Werte und Normen, welche die Ideologie vorgibt, für alle Bereiche der Gesellschaft beansprucht wird. Bezogen auf Nordkorea lässt sich als Staatsideologie die sogenannte "Chuch'e-Idee" nennen. Sie gilt als eine nordkoreanische Auslegung des Marxismus/Leninismus. Aus dieser Ideologie lassen sich gesicherte Erkenntnisse über die politischen Grundüberzeugungen und Leitideen der politisch Herrschenden gewinnen. Ferner weist sie deutlich darauf hin, wie die "totale" Herrschaft im Lande organisiert und ausgeübt wird. Hervorzuheben ist z.B. der stark ausgeprägte monistische Charakter der Herrschaftsstruktur, was bedeutet, dass keine gegenseitige Kontrolle der einzelnen politisch relevanten Gruppen und Institutionen (Gewaltenteilung) zugelassen ist. Auch auf der Ebene des Individuums hat die auf der Grundlage der Chuch'e-Ideologie ausgeübte Herrschaft massive Auswirkungen. Die Menschen werden meist in ein kollektivistisches System gezwängt. Die für den westlichen Betrachter essentiellen Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Pressefreiheit werden in Nordkorea gänzlich ignoriert. Um die Entwicklung des politischen Systems in Nordkorea in vollem Umfang erläutern zu können, soll nun besonders ausführlich auf die Zeit der Etablierung der Chuch'e-Philosophie als die zweite Entwicklungsstufe des politischen Systems als Staatsideologie eingegangen werden (s. Abschnitt 4.3). Erst als die Ideologie zu einem Teil der realen Machtgrundlage des Herrschaftssystems geworden war, konnte man das politische System als ein totalitäres betrachten. Bis zum Jahr 1982 entwickelte sich Chuch'e zur Norm und Grundlage der gesamten Gesellschaft. Der Abschnitt 4.3 beginnt mit einem historischen Rückblick auf die Zeit zwischen 1955 und 1965. Die weltpolitischen Ereignisse dieser Jahre führten zu einer ideologischen Abnabelung Nordkoreas von seinen großen sozialistischen "Brüdern", der Sowjetunion und der VR China (s. Abschnitt 4.3.1). Die politischen Eliten der DVRK verfolgten von nun an das Ziel, einen eigenen ideologischen Weg zu beschreiten. Das Bedürfnis nach einer speziell nordkoreanischen ideologischen Ausrichtung der Politik eröffnete für Kim Il-sung die Möglichkeit mit Chuch'e, seine eigene Variante des Marxismus/Leninismus vorzustellen und zu etablieren. Nach diesen kurzen geschichtlichen Ausführungen soll auf die Ideologie selbst eingegangen werden (s. Abschnitt 4.3.2). Hier erfolgt die Darstellung der wichtigsten Kernpunkte der Ideologie. Zudem soll geklärt werden, welche konkreten politischen Forderungen sich von ihr ableiten lassen. Im darauf folgenden Abschnitt geht es um die nationalpolitische Bedeutung der Chuch'e-Ideologie in Nordkorea (s. Abschnitt 4.3.3). Es folgen hier Antworten auf die Frage, warum sich das nordkoreanische Volk verhältnismäßig schnell zu der eigenwillig erscheinenden Idee Kim Il-sungs mit ihren zentralen Forderungen nach nationaler Autarkie und Souveränität bekannte. Auf welche Erwartungen oder Sehnsüchte der Nordkoreaner bezieht sich die Ideologie/Philosophie? Diese Frage soll vor dem Hintergrund bestimmter geschichtlicher Zusammenhänge beantwortet werden. Nachdem die nationalpolitische Bedeutung der Ideologie geklärt wurde, soll erläutert werden, welche Konsequenzen das Regieren auf der Grundlage der Chuch'e-Idee für das Volk hat (s. Abschnitt 4.3.4). Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen hier die gesellschaftlichen Auswirkungen des vom Staat forcierten Chuch'e-Glaubens. Dem Leser sollen die Hintergründe für typische Erscheinungsmerkmale wie die starke Militarisierung der Gesellschaft oder das stark ausgeprägte kollektive Denken der Menschen näher verdeutlicht werden. Der gesamte Abschnitt 4.3 endet mit einer Zusammenfassung, in der die wichtigsten Aspekte nochmals kurz wiedergegeben werden. Darüber hinaus soll dargelegt werden, welche totalitären Systemmerkmale das politische System der DVRK während der Zeit der zweiten Entwicklungsstufe konkret herausbildete. Nachdem in der Zusammenfassung des 4. Kapitels die wichtigsten totalitären Merkmale des politischen Systems aufgezeigt wurden, sollen diese in Kapitel 5 nochmals genauer reflektiert werden. Die Reflektion in den einzelnen Abschnitten des Kapitels wird von der Frage geleitet, ob das politische System Nordkoreas auch im Sinne Carl Joachim Friedrichs und Zbigniew Brzezinskis als totalitär gelten kann. Das Kapitel dient so gesehen dazu, die in Kapitel 2 über den Totalitarismus aufgestellten Thesen Friedrichs und Brzezinskis auf das politische System Nordkoreas zu beziehen.

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