Thesis2004

Risikoselektion als Folge von Einkaufsmodellen im deutschen Gesundheitswesen: Instrumente, Indikatoren, Nachweis und Möglichkeiten zur Verhinderung der Risikoselektion ; Doktorarbeit/Dissertation

In: Medizin

Abstract

In Kapitel 2 wird zunächst eine Übersicht über das deutsche Gesundheitswesen gegeben, zu dessen wichtigsten Charakteristika das Solidaritätsprinzip, die prinzipielle Krankenversicherungspflicht sowie paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, die freie Arztwahl und die Selbstverwaltung in vielen Bereichen zählen. Zu den Selbstverwaltungspartnern gehören die rund 350 gesetzlichen Krankenversicherungen, in denen knapp 90% der Bevölkerung versichert sind, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenhausgesellschaften. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Spitzenorganisation, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, stellen die ambulante ärztliche Versorgung sicher, wofür sie eine befreiende Zahlung von den gesetzlichen Krankenversicherungen erhalten. In den Krankenhäusern erfolgt die stationäre Versorgung der Patienten, eine ambulante Versorgung ist, abgesehen von Notfällen, im Prinzip nicht vorgesehen. Die Vergütung der stationären Leistungen erfolgt derzeit überwiegend mittels tagesgleichen Pflegesätzen, daneben kommen Fallpauschalen und Sonderentgelte in ausgewählten Beeichen zur Anwendung. Diese Vergütung wird schrittweise ab 2003 auf diagnoseorientierte Fallpauschalen, die Diagnosis Related Groups, umgestellt. Für die gesetzliche Krankenkassen besteht Kontrahierungszwang bezüglich der Versicherten, aber auch – von wenige Ausnahmen abgesehen – mit den zugelassenen Leistungsanbietern. Die Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens basiert überwiegend auf den gesetzlichen Krankenkassen und den übrigen Sozialversicherungszweigen. Daneben wird ein nicht unerheblicher Anteil auch von den privaten und öffentlichen Haushalten sowie den privaten Krankenversicherungen getragen. Im Ausgabenbereich stellt die stationäre Versorgung den größten Kostenblock vor der ambulanten ärztlichen Leistungserbringung und der Arzneimittelversorgung dar. Der Risikostrukturausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen soll die krankheitsbedingten Unterschiede in den Leistungsausgaben nivellieren, wozu er derzeit das Alter, das Geschlecht, den Bezug einer Invaliditätsrente sowie das Einkommen und den Krankengeldanspruch berücksichtigt. Diese Ausgleichssystematik soll bis 2007 stärker morbiditätsorientiert gestaltet werden. Die Disease-Management-Programme wurden 2002 in das Sozialgesetzbuch aufgenommen mit dem Ziel, die Versorgung chronisch Kranker zu verbessern. Damit die dafür notwendigen erhöhten Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherungen entsprechende Berücksichtigung finden, wurden diese Programme mit dem Risikostrukturausgleich verknüpft. Die DMP erlauben im Rahmen der integrierten Versorgung direkte Verträge zwischen den Krankenkassen und den Leistungsanbietern, die auch als Einkaufsmodelle bezeichnet werden. Daneben erhalten die Krankenkassen von den Versicherten, die an den Programmen teilnehmen, deutlich mehr Daten als bisher. Kapitel 3 stellt zunächst die verschiedenen Formen und Einteilungsmöglichkeiten der Einkaufsmodelle dar, wobei insbesondere Leistungsvergütung, die Eingriffsrechte der Krankenkassen in die Behandlung, die Beschränkung der Patientenrechte und die Auswirkungen auf den Sicherstellungsauftrag als Unterscheidungskriterien zwischen den Modellen gelten können. Die notwendigen Voraussetzungen der Einkaufsmodelle, also eine wettbewerbliche Orientierung des Gesundheitswesens, eine ausreichende Anzahl Beteiligter sowie Gruppenbildung auf seiten der Krankenkassen und der Leistungsanbieter, ein funktionierender Risikostrukturausgleich sowie die gesetzlichen Grundlagen, können in Deutschland als weitgehend gegeben angesehen werden. Die wesentlichen Argumente für Einkaufsmodelle sind die Steigerung von Qualität, Effizienz, Effektivität und des Wettbewerbs im Gesundheitswesen sowie ein Aufbrechen des Anbietermonopols der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Gegner der Einkaufsmodelle befürchten eine Machtverschiebung zu den Krankenkassen, eine Verschlechterung der Versorgung und vor allem eine Selektion unter den Leistungsanbietern und den Versicherten. Diese Risikoselektion der Versicherten ist zugleich die bedeutendste mögliche Folge der Einkaufsmodelle, da Einkaufsmodelle eine deutliche Erweiterung und Präzisierung der Instrumente zur Risikoselektion zulassen. Daher wird in Kapitel 4 die Frage aufgeworfen, welche Möglichkeiten die Krankenkassen zur Risikoselektion besitzen bzw. im Rahmen der Einkaufsmodelle zusätzlich bekommen und wie man die Risikoselektion nachweisen sowie verhindern kann. Der wichtigste Grund für eine Risikoselektion wird in Kapitel 5 im Anschluss an die theoretische Betrachtung der Risikoselektion im Rahmen der Principal-Agent-Theorie dargestellt: die wirtschaftlichen Vorteile für eine Krankenkasse. Zu den wesentlichen Unterscheidungskriterien der Risikoselektion zählt die Auswahl der Risiken; positive Risikoselektion bedeutet, dass sich eine Krankenkasse bemüht, die Anzahl der guten Risiken zu erhöhen, negative Risikoselektion dient der Verminderung der Anzahl schlechter Risiken. Die Instrumente, die zur Risikoselektion eingesetzt werden können, werden systematisch beleuchtet. Hierbei zeigt sich, dass insbesondere ein niedriger Beitragssatz zur positiven Risikoselektion geeignet ist. Eine negative Auswahl der Versicherten ist derzeit u.a. aufgrund des Kontrahierungszwanges sehr schwierig. In Einkaufsmodellen bieten sich jedoch zusätzliche Möglichkeiten, wobei besonders der Verzicht auf Verträge mit teuren Spezialisten für Krankenkassen erfolgsversprechend erscheint. Die Indikatoren, mit denen sich gute von schlechten Risiken differenzieren lassen, sind zum einen Kennzahlen, zum anderen patientenspezifische Merkmale. Am geeignetsten erscheinen die Kennzahlen, die sowohl die Beitragsseinnahmen als auch die Leistungsausgaben sowie den Risikostrukturausgleich berücksichtigen. Bei den Merkmalen erlauben diejenigen eine Vorhersage zukünftiger Leistungsinanspruchnahme am besten, die die Morbidität des Versicherten direkt beschreiben, also die Diagnosen. Diesbezüglich werden erstmals verschiedene, vorwiegend in den USA entwickelte, komplexe Systeme der diagnosebasierten Patientenklassifikation vorgestellt, deren Einsatz zur Risikoselektion bisher in Deutschland kaum diskutiertwurde. Diese Systeme können teilweise mehr als 20% der Varianz der Leistungsausgaben prospektiv erklären. Mit Hilfe der Kennzahlen und Merkmale ist eine Differenzierung von guten und schlechten Risiken möglich, wobei die negative Risikoselektion unter den Bestandsversicherten einer Krankenkasse einfacher erscheint als die positive Risikoselektion unter den potentiellen zukünftigen Versicherten. Der Nachweis der Risikoselektion kann prinzipiell dadurch erfolgen, dass den Krankenkassen der Einsatz der Instrumente bewiesen wird oder durch eine Analyse der Wanderungsbewegungen der Versicherten. Beides ist problematisch, da die hierzu notwendige Daten im Regelfall nicht verfügbar sind. Allenfalls lassen sich derzeit mehr oder minder deutliche Hinweise auf eine Risikoselektion finden. Zu den wesentlichen möglichen Folgen der Risikoselektion zählen einerseits Qualitätseinbußen in der Behandlung sowie eine Gefährdung des derzeitigen solidarischen Gesundheitssystems in Deutschland. Die Möglichkeiten zur Verhinderung der Risikoselektion werden in Kapitel 6 beschrieben. Die Selbstkontrolle durch die Krankenkasse ist als nicht manipulationsresistent anzusehen. Von den bestehenden Organisationen kommt am ehesten das Bundesgesundheitsministerium bzw. das Bundesversicherungsamt hierfür in Frage. Auch die Etablierung einer neuen Institution ist nicht ausgeschlossen, sofern sie neutral ist, über den erforderlichen Sachverstand und die notwendige Sanktionsbefugnis verfügt. Das effektivste Instrument zur Verhinderung der Risikoselektion ist eine Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs, in dem die Morbidität besser abgebildet wird. Kapitel 7 stellt die Schlussfolgerungen der gesamten Arbeit kurz dar. Die wesentlichen sind: Einkaufsmodelle sind in Deutschland möglich, sie beinhalten allerdings die Gefahr der Risikoselektion unter den Versicherten. Die zur Risikoselektion notwendigen Instrumente und Indikatoren zur Unterscheidung der Versicherten sind vorhanden und können im Rahmen von Einkaufsmodellen differenzierter eingesetzt werden. Der Nachweis der Risikoselektion ist schwierig, dennoch muss sie unterbunden bzw. eingedämmt werden. Hierzu ist ein morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich am besten geeignet. Inhaltsverzeichnis: AbbildungsverzeichnisI TabellenverzeichnisII AbkürzungsverzeichnisIII 1.Einleitung1 2.Das deutsche Gesundheitswesen2 2.1Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens2 2.1.1Charakteristika des deutschen Gesundheitswesens2 2.1.2Versicherungsträger und Finanzierung4 2.1.2.1Die gesetzliche Krankenversicherung4 2.1.2.2Die private Krankenversicherung7 2.1.2.3Weitere Kostenträger9 2.1.2.4Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens10 2.1.3Leistungserbringer, weitere Institutionen und Ausgaben11 2.1.3.1Krankenhäuser11 2.1.3.2Niedergelassene Vertragsärzte14 2.1.3.3Weitere Institutionen18 2.1.3.4Ausgaben im deutschen Gesundheitswesen22 2.2Der Risikostrukturausgleich24 2.2.1Entwicklung und Ziele des RSA24 2.2.2Berechnung des RSA25 2.2.3Kritik am RSA27 2.2.4Weiterentwicklung des RSA28 2.3Die Disease-Management-Programme32 2.3.1Ziele der DMP32 2.3.2Entwicklung der DMP33 3.Einkaufsmodelle38 3.1Formen und Voraussetzungen der Einkaufsmodelle39 3.1.1Formen der Einkaufsmodelle39 3.1.1.1Leistungsvergütung im Einkaufsmodell39 3.1.1.2Eingriffsrechte der Kostenträger im Einkaufsmodell40 3.1.1.3Beschränkung der Patientenrechte im Einkaufsmodell41 3.1.1.4Einkaufsmodell und Sicherstellungsauftrag41 3.1.2Voraussetzungen der Einkaufsmodelle42 3.1.2.1Wettbewerbliche Grundorientierung des Gesundheitswesens42 3.1.2.2Ausreichende Anzahl der Beteiligten44 3.1.2.3Gruppenbildung auf Seiten der Leistungsanbieter und der Krankenkassen44 3.1.2.4Funktionierender RSA45 3.1.2.5Transparenz für alle Beteiligten46 3.1.2.6Gesetzliche Grundlagen46 3.1.2.7Festlegung des Leistungskataloges51 3.2Argumente für und gegen die Einführung von Einkaufsmodellen53 3.2.1Argumente der Befürworter53 3.2.2Argumente der Gegner55 3.3Mögliche Folgen der Einführung von Einkaufsmodellen57 3.3.1Mögliche Folgen für die Krankenkassen57 3.3.2Mögliche Folgen für die Leistungsanbieter61 3.3.3Mögliche Folgen für die Versicherten63 4.Fragestellung65 5.Risikoselektion66 5.1Grundlagen und Beweggründe der Risikoselektion67 5.1.1Theoretische Grundlagen der Risikoselektion67 5.1.2Beweggründe für Risikoselektion73 5.2Formen und Instrumente der Risikoselektion74 5.2.1Unterscheidung nach Auswahl der Risiken74 5.2.1.1Positive Risikoselektion75 5.2.1.2Negative Risikoselektion75 5.2.2Unterscheidung nach Aktivitäten der Risikoselektion75 5.2.2.1Aktive Risikoselektion75 5.2.2.2Passive Risikoselektion76 5.2.3Instrumente zur Risikoselektion76 5.2.3.1Aktive positive Instrumente76 5.2.3.2Aktive negative Instrumente81 5.3Indikatoren der Risikoselektion86 5.3.1Wirtschaftliche Kennzahlen86 5.3.2Versichertenbezogene Merkmale90 5.3.2.1Merkmale zur indirekten Erfassung der Morbidität91 5.3.2.2Diagnosebasierte Patientenklassifikationssysteme96 5.3.2.3Komplexe Merkmale102 5.3.3Möglichkeiten der Krankenkassen zum Einsatz der Indikatoren104 5.3.3.1Einsatz der Indikatoren zur Risikoselektion unter Bestandsversicherten104 5.3.3.2Einsatz der Indikatoren zur Risikoselektion unter Versicherten anderer Krankenkassen115 5.3.4Nachweismöglichkeiten der Risikoselektion118 5.3.4.1Nachweis des Einsatzes der Instrumente zur positiven Risikoselektion118 5.3.4.2Nachweis des Einsatzes der Instrumente zur negativen Risikoselektion121 5.3.4.3Nachweis der Wanderungsbewegungen der Versicherten123 5.4Mögliche Folgen der Risikoselektion126 5.4.1Mögliche Folgen für die Krankenkassen126 5.4.2Mögliche Folgen für die Leistungserbringer127 5.4.3Mögliche Folgen für die Versicherten128 5.4.4Mögliche Folgen für das Gesundheitswesen129 5.5Erfahrungen mit Einkaufsmodellen und Risikoselektion in den USA132 6.Möglichkeiten zur Verhinderung der Risikoselektion136 6.1Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle137 6.2Kontrolle durch bestehende Organisationen139 6.2.1Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen139 6.2.2Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen140 6.2.3Kassenärztliche Bundesvereinigung140 6.2.4Bundesgesundheitsministerium und nachgeordnete Behörden142 6.3Kontrolle durch eine neu zu schaffende Organisation143 6.4Systementwicklung144 7.Schlussfolgerungen146 8.Zusammenfassung147 Literaturverzeichnis150 Lebenslauf162 Danksagung163

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