Thesis2002

Die Bekleidungsindustrie: ein gesamtwirtschaftlicher Konjunkturfrühindikator für Deutschland

In: Wirtschaft

Abstract

Verlagsinfo: Die Wirtschaftspolitik in Deutschland ist per Gesetz seit 1967 dazu verpflichtet, in ihrem Streben nach einem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht vier Ziele zu verfolgen. Dies sind Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsstand, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Man kann argumentieren, dass die beiden letztgenannten Ziele als Vorziele oder Voraussetzungen für die beiden ersten Ziele verstanden werden können. Diese Argumentation erhebt das Streben nach Preisniveaustabilität und hohem Beschäftigungsstand zu Primärzielen. Wie an späterer Stelle (vgl. Kapitel 2.2.1) noch deutlich wird, spielt das Konjunkturphänomen im Streben nach diesen zwei Primärzielen eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang ist es die Aufgabe der Wirtschaftspolitik, konjunkturelle Schwankungen möglichst gering zu halten, also mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, konjunkturellen (Fehl-)Entwicklungen entgegenzuwirken. Um diese Aufgabe erfolgreich zu erfüllen, ist es besonders wichtig für die Wirtschaftspolitik, rechtzeitig zu wissen, in welche Richtung sich die Konjunktur in Zukunft bewegen wird. Denn die Werkzeuge der Wirtschaftspolitik wirken meist mit zeitlicher Verzögerung. Sie müssen daher frühzeitig eingesetzt werden, damit sie auch die gewünschte antizyklische Wirkung erzeugen. Setzt ihre Wirkung zu spät, also möglicherweise prozyklisch ein, besteht die Gefahr, dass sie unerwünschte konjunkturelle Entwicklungen sogar noch verstärken. Idealerweise müssten daher konjunkturelle Entwicklungen für die Wirtschaftspolitik zeitlich genau vorhersehbar sein. Wie in Kapitel 2.2.1 noch näher erläutert wird, gibt es mittlerweile mehrere Konjunkturprognoseverfahren, die der Wirtschaftpolitik ein frühzeitiges Erkennen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen ermöglichen sollen. Kaum eines dieser Verfahren ist unumstritten. Allerdings wird einem davon ein vergleichsweise hoher Grad an Zuverlässigkeit zugesprochen: dem Einsatz von Konjunkturindikatoren, bzw. Konjunkturfrühindikatoren. Konjunkturfrühindikatoren sind konjunkturempfindliche wirtschaftliche Kennzahlen, die sich dadurch auszeichnen, dass ihre konjunkturbedingten Schwankungen mit einem regelmäßigen zeitlichen Vorlauf zur tatsächlichen Konjunktur eintreten. Es sind bisher jedoch nur wenige Kennzahlen bekannt, welche die Mindestanforderungen für eine zuverlässige Prognoseeignung erfüllen. Anhand empirischer Untersuchungen soll nun in der vorliegenden Arbeit herausgefunden werden, ob die Entwicklung der deutschen Bekleidungsindustrie diesen Voraussetzungen für den Einsatz als konjunktureller Frühindikator gerecht wird. Der Anstoß zur Bearbeitung dieser Fragestellung war eine Äußerung eines Angestellten des Aschaffenburger Arbeitsamtes. Sie lautet: "Wenn die Gesamtwirtschaft hüstelt, hat die Bekleidungsindustrie schon eine Grippe." Dieser Aussage ging die Überlegung voraus, dass die Menschen in schlechten Zeiten, also wenn das Einkommen niedrig ist oder ein niedriges Einkommen erwartet wird, zuerst an der Bekleidung sparen, bevor sie auf andere Konsumgüter verzichten. Für die Siebziger Jahre bestätigt auch Breitenacher vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München diese Annahme.2 Ferner gab es vereinzelt empirische Untersuchungen, die ein konjunkturelles Vorlaufverhalten bestimmter Bereiche der Konsumgüterindustrie demonstrieren (vgl. Kapitel 2.2.3.3). Es scheint also Indizien zu geben, die es lohnenswert erscheinen lassen der Frage danach, ob die Bekleidungsindustrie in Deutschland den Charakter eines Konjunkturfrühindikators hat, auf den Grund zu gehen. Führte diese Untersuchung tatsächlich zu einem positiven Ergebnis, so wäre der Wirtschaftspolitik möglicherweise ein weiteres Mittel an die Hand gegeben, mit dem sie konjunkturelle Fehlentwicklungen wie Arbeitslosigkeit oder Inflation prognostizieren und damit wirkungsvoll bekämpfen könnte. Die Arbeit ist neben der Einleitung in vier weitere Teile untergliedert: Kapitel 0 bis 5. In Kapitel 0 wird ein theoretisches Fundament gelegt, in dem die für die späteren Analysen wichtigen Begriffe "Konjunktur", "Konjunkturprognosen" und "Konjunkturindikatoren" vorgestellt und näher erläutert werden. Kapitel 3 befasst sich konkret mit dem Konjunkturphänomen in Deutschland während der Jahre 1973 bis 2000. Anhand von in Kapitel 2.1.3 eingeführten konjunkturellen Referenzreihen (Kapazitätsauslastungsgrad des Verarbeitenden Gewerbes, Nettoproduktionsindex des Produzierenden Gewerbes und gesamtwirtschaftliche Beschäftigtenzahl) wird der Konjunkturverlauf dieser Periode dargestellt und genauer erklärt. Nach dieser grundlegenden Einführung in das Konjunkturphänomen (Kapitel 0 und 3) konzentriert sich das 4. Kapitel schließlich auf die Bekleidungsindustrie. Die in Kapitel 0 und 3 vorgestellten gesamtwirtschaftlichen konjunkturellen Referenzreihen einschließlich dem Geschäftsklimaindex, einer der zuverlässigeren Frühindikatorreihen (vgl. Kapitel 2.2.3.2), werden den entsprechenden Reihen für die Bekleidungsindustrie gegenübergestellt und deren Verläufe auf zeitlich-konjunkturelles Verhalten hin miteinander verglichen. Zur Absicherung geschieht dasselbe auch mit den entsprechenden Reihen für die Konsumgüterindustrie. Nur so kann sichergestellt werden, dass auffällige konjunkturelle Verhaltensmuster der gesamten Konsumgüterindustrie nicht fälschlicherweise der Bekleidungsindustrie zugesprochen werden. Denn es sollen ja gerade Muster aufgedeckt werden, die in besonderem Maße typisch für die Bekleidungsindustrie sind und sich damit von denen der gesamten Konsumgüterindustrie abheben. Die Analyse wird für insgesamt vier verschiedene Reihen durchgeführt, denn nur unter Berücksichtigung mehrerer Kennzahlen und mit der Identifizierung von Gemeinsamkeiten in deren Verläufen kann näherungsweise eine Aussage über das konjunkturelle Verhalten der Bekleidungsindustrie gemacht werden. Andernfalls würden sich Aussagen lediglich auf ausgewählte Kennzahlen der Bekleidungsindustrie – nicht aber auf die Bekleidungsindustrie als solche – beziehen. Selbstverständlich wäre das eingangs genannte Ziel, einen weiteren zuverlässigen Konjunkturfrühindikator zu finden, auch – oder sogar viel eher – damit erreicht, wenn sich herausstellte, dass eine der ausgewählten Kennzahlen für die Bekleidungsindustrie einen stetigen Vorlaufcharakter besitzt. Das ist jedoch nicht das Thema dieser Arbeit. Es soll vielmehr untersucht werden, ob die Bekleidungsindustrie als solche eine Tendenz zum konjunkturellen Vorlauf hat. Würde sich diese Annahme bestätigen, könnte man in einer weiteren Untersuchung prüfen, welche der bekleidungsspezifischen Kennzahlen am ehesten für Konjunkturprognosen geeignet wären. Aus den Ergebnissen der vier Einzelanalysen wird in Kapitel 4.1.5 schließlich festgestellt, ob die Bekleidungsindustrie der gesamtwirtschaftlichen Konjunktur vor-, gleich oder nachläuft. Das Untersuchungsergebnis wird daraufhin versucht, volkswirtschaftlich zu begründen (Kapitel 4.2). Wie aus dem Grundlagenteil (Kapitel 2.2.3.1) hervorgeht, ist allerdings ein konjunktureller Vorlaufcharakter an sich nicht ausreichend, um den Anforderungen, die an einen für Prognosen geeigneten Konjunkturfrühindikator gestellt werden, gerecht zu werden. Aus diesem Grund werden im 5. Kapitel – der Schlussbetrachtung – zur vollständigen Beantwortung der im Arbeitstitel gestellten Frage die vier Kennzahlen zusätzlich noch auf die übrigen Kriterien, die ein Konjunkturfrühindikator erfüllen muss, hin untersucht. Dieser Teil, der eher auf die einzelnen Kennzahlen als auf die Bekleidungsindustrie insgesamt eingeht, stellt ansatzweise dar, wie eine mögliche Untersuchung einzelner Reihen auf ihre Prognoseeignung hin aussehen könnte.

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