Krisenphasen im Verhältnis von Schulsystem und staatlichem Beschäftigungssystem. Preußen 1867-1914
Abstract
Im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts treten in Deutschland wiederholt Diskrepanzen zwischen den Berechtigungsansprüchen von Schul- und Hochschulabsolventen und den zur Verfügung gestellten Berufspositionen auf. Diese Überfüllungssituationen werden begleitet von Überfüllungsdiskussionen, die einen spezifischen Stelenwert im Steuerungsprozeß des Bildungs-, Berechtigungs- und Laufbahnwesens einnehmen. Wir fassen Überfüllungssituation und –diskussion unter den Begriff Qualifikationskrise. (…) Von der Analyse verschiedener historischer Phasen mit aktualisierten Qualifikationskrisen erwarten wir Aufschlüsse über den Stellenwert und die Funktion des Bildungswesens im gesellschaftlichen Prozeß." (S. 37)
Die Autoren arbeiten mit einem Analysemodell, das folgende Einschränkungen vornimmt:
1) Qualifikationskrisen werden als Reduzierung des Einsatzwerts von Schul- und Hochschulabschlüssen im Hinblick auf Höherqualifizierungsmöglichkeiten und beruflichen Einstellungs- und Aufstiegschancen innerhalb eines bestimmten Zeitraums definiert. Die inhaltliche Seite schulischer Qualifikationen wird nicht weiter diskutiert.
2) Es wird sich im Rahmen dieser Studie nur auf Berechtigungen der höheren Schulen, Vollzeitberufsschulen und Hochschulen konzentriert.
Schulsystem und staatliches Berufslaufbahnsystem waren durch ein institutionalisiertes Berechtigungswesen miteinander verknüpft. Für den Eintritt in den Staatsdienst wurden bestimmte formale Schulabschlüsse gefordert. Dem Schulabschluß kam somit eine grundlegende Bedeutung für die späteren Berufsperspektiven zu.
3) Es wird nur der öffentliche Bereich als Anbieter von Berufspositionen für höhere Qualifikationen betrachtet.
"Der öffentliche Bereich ist in Deutschland traditionell der weitaus größte Anbieter (oft Monopolist) von Berufslaufbahnen für höhere Qualifikationen. Sein Verhalten ist deshalb entscheidend für die Realisierungschancen formaler Berechtigungen." (S. 38)
Der Justizsektor stellt ein klassisches Berufsfeld für Akademiker in Preußen und für den öffentlichen Dienst dar. Deshalb wurde dieser Bereich als engerer Untersuchungsgegenstand gewählt. Die Analyse beschränkt sich aber nicht auf die Stellenpläne für Richter und Staatsanwälte, sondern bezieht die qualitativen und quantitativen Veränderungen im Bereich des Jurastudiums sowie mögliche Ausweichkarrieren mit ein.
Zusammenfassend kann folgendes festgehalten werden:
Die Reform des preußischen Bildungswesens war ein komplexer, "auf den verschiedenen Ausbildungsebenen fast gleichzeitig einsetzender Steuerungsversuch der staatlichen Stellen, um der mit dem sozialen Wandel steigenden Nachfrage nach höherer Bildung und akademischen Berufspositionen zu begegnen.
Instrumente der Steuerung waren eine Reform der Typenstruktur des höheren Schulwesens, eine Umstrukturierung des Berechtigungswesens und des Laufbahnwesens im öffentlichen Dienst sowie veränderte Ausbildungs-, Prüfungs- und Anstellungsmodalitäten.
Das Ergebnis dieser politisch gewollten Überfüllungssituation und der sie begleitenden Diskussionen war eine Drosselung der Zuwachsraten bei höheren Schülern, Abiturienten, Studenten, Referendaren und Assessoren, vor allem durch eine Umorientierung eines Teils der Bevölkerung zu weniger hoch gesteckten Ausbildungs- und Berufszielen.
Themen
Zeitreihen im Downloadsystem HISTAT (Thema: Bildung):
Tabelle 1: Die Bildungschancen der 10,5- bis 19,5jährigen männlichen Bevölkerung in Preußen, 1867-1914.
Tabelle 2: Die männlichen Schüler aller Altersgruppen und aller Klassenstufen der Typen des allgemeinbildenden öffentlichen höheren Schulwesens in Preußen, 1867-1914.
Tabelle 3: Die Quartaner der Typen des allgemeinbildenden öffentlichen höheren Schulwesens in Preußen, 1867-1914.
Tabelle 4: Die Untersekundaner der Typen des allgemeinbildenden öffentlichen höheren Schulwesens in Preußen, 1867-1914.
Tabelle 5: Die Abiturienten der 9jährigen öffentlichen höheren Schulen des allgemeinbildenden Schulwesens in Preußen, 1867-1914.
Tabelle 6: Die Berufschancen der Jurastudenten in Preußen, 1860-1910.
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