Die (un)vorbereitete Pandemie und die Grenzen der Preparedness Zur Biopolitik um COVID-19
In: Leviathan: Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Band 48, Heft 3, S. 381-406
Abstract
Der politische Umgang mit COVID-19 ist durch ein Paradox gekennzeichnet: Zwar gilt Preparedness seit gut 20 Jahren als das zentrale Paradigma im Bereich der Gesundheitssicherheit, dennoch scheint uns die Pandemie "unvorbereitet" zu treffen. Der vorliegende Beitrag setzt an diesem Paradox an, um zu untersuchen, was sich im Licht der aktuellen Krise über die Funktionsweise der Sicherheitsrationalität des "Vorbereitet-Seins" aussagen lässt - über ihre Mechanismen, Versprechen und Bruchstellen. Wir zeigen, dass Preparedness auf dem Einsatz szenario-basierter Wissenstechniken beruht, anhand derer in der Vergangenheit Ereignisse imaginiert wurden, die dem COVID-19-Ausbruch durchaus ähneln. Zudem haben sich zuletzt evaluative Verfahren zur Durchsetzung von Preparedness etabliert. In beiden Fällen wurde insbesondere die Belastbarkeit der Gesundheitsinfrastrukturen als wesentliches Sicherheitsproblem angesehen. Dieser Infrastrukturalismus einer Biopolitik vitaler Systeme kennzeichnet auch die Maßnahmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie. Wir arbeiten die Grenzen der Preparedness-Politik an zwei zentralen Aspekten des Ausbruchsmanagements in Deutschland heraus: der Strategie der "Abflachung der Kurve" sowie dem Problem der mangelnden Bevorratung mit Schutzmasken. In beiden Fällen wird deutlich, dass die Sicherheitspraktik der Preparedness anfällig ist für eine Überformung durch andere Systemlogiken, dass die Vorbereitung während des SARS-CoV-2 Ausbruchs mittels Improvisation fortgesetzt werden muss und als technokratisches Projekt der Regierung über den Notfall andere Versorgungsstrategien nicht ersetzen kann.
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