Aufsatz(elektronisch)26. September 2022

Die Printing Natives als Modell für die Digital Natives

In: Merz Medien + Erziehung: Zeitschrift für Medienpädagogik, Band 66, Heft 5, S. 87-91

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Abstract

Mit dem Werk des Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann werden quasi 'von hinten' die Möglichkeitsbedingungen der bürgerlichen Öffentlichkeit aufgerollt. Es soll der Erkenntnisgewinn des Vergleichs der Generation der Digital Natives mit der 'Generation Luther' ausgelotet werden. Die Lektüre lohnt sich aufgrund der subtilen Verflechtung (kirchen-)historischen Detailwissens mit dem analytischen Gespür für die Verwicklung des Buchdrucks in große Modernisierungstendenzen: Gezeigt wird, wie die Hardware Buchdruck das Betriebssystem der gesamten Kultur umprogrammiert hat. Dazu werden die technisch-ökonomischen Bedingungen der 'Emanzipation von der Handschrift' nachgezeichnet. Es waren die Goldschmiedekunst und die Glockengießerei, die um 1480 die notwendige technologische Infrastruktur für den Buchdruck vorhielten. Für die Logistik der Verbreitung von Büchern konnte man auf ein existierendes System der Handschriftenzirkulation zurückgreifen. Von Anfang an gingen betriebswirtschaftliche Erwägungen Hand in Hand mit kulturellen Aspekten. Die sich sukzessive beschleunigende Erhöhung der Auflagen und des Umsatzes der Druckereien und zunehmenden Verlage (S. 31) wurden dann katalysiert durch die 'Türkenbedrohung' und die Nachfrage nach Ablassbriefen. Übergreifend entwickelte sich durch die Distribution von immer vielfältigeren Druckerzeugnissen nach 1480 ein gesellschaftlicher Kommunikationsraum (S. 28). Insbesondere die Kirchenvertreter*innen sahen eine willkommene Gelegenheit, den christlichen Glauben zu kommunizieren. Gleichzeitig befürchtete man, auch ketzerische Absichten könnten so leichter den Weg zu den Menschen finden. Eine besondere 'Valorisierung' der Buchkultur ist auch nicht von ungefähr mit dem Namen Martin Luther verbunden. Der Reformator sah den Buchdruck als Basis nicht nur für den Glauben, sondern auch für Wissenschaft und Erkenntnis – von Sprache und Kultur überhaupt.
Eine weitere bis heute wirksame Strategie und damit Bedingung unseres modernen Verständnisses von Diskursen als permanenten Argumentationsliefermaschinen war das Schüren von Interessen für neue Bücher und Auflagen (S. 64). Das wiederum stellte einen Teil der übergreifenden Revolution des Zeitverständnisses in Richtung Linearität und Zukunftsorientierung dar. Diese Entwicklungen richteten die Startrampe auf, von der aus Luther seine Reformation zünden konnte. Diese markierte die Geburt eines neuen Formats der intellektuellen, kulturellen Auseinandersetzung, eines freien, "räumlich entgrenzten" (S. 102) Diskurses. Luthers 95 Thesen wurden nicht, wie vormals, primär in räumlich-sozial geschlossenen Zirkeln der Eliten diskutiert, sondern verbreiteten sich über das neue Massenmedium wie ein Lauffeuer. Bald konnte er auf einer riesigen Welle von Interesse surfen.
Im Epilog bündelt der Autor die wuchtigen Bugwellen des Schlachtschiffs Buchdruck, die heute vor allem durch Soziale Medien noch weiter hochgepeitscht werden: Da ist die Beschleunigungswelle, die durch das notwendige publizistische Antworten auf Gegenargumente angetrieben wird; da ist aber auch die Enthemmungs- und Empörungswelle. Und da ist die Beteiligungswelle, durch die immer mehr Menschen an den kulturellen Diskursen partizipieren konnten, was auch zu Irritationen führte. Schlussendlich bleibt zu klären, wie diese Revolution der 'Generation Luther' zur heutigen Medienrevolution steht. Hier ist der Autor versöhnlich-zuversichtlich. Ja, die neue Medienrevolution ist noch umwälzender und entgrenzender. Andererseits: "Und doch mehren sich die Zeichen, dass die digitale Medienrevolution die typographische nicht ablöst, sondern fortsetzt: Printmedien erweisen sich als attraktive Flucht- und Ruhepunkte, je unumgänglicher das Tagwerk im Internet zugebracht wird" (S. 259). Aus unserer Erfahrung mit der ersten Medienrevolution können wir also den Umgang mit der Digitalität als Aufgabe auffassen, bei deren Bewältigung wir guttun, uns an unsere 500 Jahre Auseinandersetzung mit der ersten Medienrevolution zu besinnen.

Kaufmann, Thomas (2022). Die Druckmacher. Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte. München: C.H Beck. 350 S., 28 €.

Verlag

OAPublishing Collective

ISSN: 0176-4918

DOI

10.21240/merz/2022.5.21

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