Blogbeitrag16. Mai 2024

Was der deutsche 'Transfer' vom britischen 'Impact' lernen kann

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Abstract

An Hochschulen in Großbritannien zählt die gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaft wie selbstverständlich zur Bewertung guter Forschung. Was bedeutet das? Ein Gastbeitrag von Albert Kümmel-Schnur.






Albert
Kümmel-Schnur ist Literatur- und Medienwissenschaftler und Mitarbeiter im Team "Transfer Lehre" der Universität Konstanz. Bild: Arek Socha / Pixabay.






DEUTSCHE HOCHSCHULEN TUN SICH SCHWER damit, ihre Beziehungen zum außerakademischen Umfeld zu definieren. Vor ungefähr einem Jahrzehnt hat man sich darauf geeinigt, den gut in den Natur- und
Ingenieurswissenschaften etablierten Begriff des "Transfers" auszuweiten auf alle Bereiche der Kooperation und Interaktion zwischen außerakademischen und akademischen Akteuren.



 



Der Vorteil eines bereits eingeführten Begriffs wurde zum Nachteil eines erhöhten Erläuterungsbedarfs. Sollte damit ein allgemeines gesellschaftliches Engagement gemeint sein wie etwa im "service
learning"? Suchte man eine größere Nähe zu realen Problemfeldern wie im "problem based learning"? Oder war jetzt jede Übertragung wissenschaftlichen Wissens in nicht-wissenschaftliche Kontexte –
etwa ein Vortrag vor einem nichtwissenschaftlichem Publikum – bereits "Transfer"? Transfer als mitlaufende Querschnittsaufgabe oder als zusätzliche dritte Mission neben Forschung und Lehre?



 



Die Universität Konstanz lud im März den Botaniker und Forschungsdirektor beim DFG-Pendant Research England, Steven Hill, als Keynote Speaker auf eine Klausurtagung ein, die genau solche Fragen beantworten sollte. In Großbritannien ist das, was wir "Transfer" nennen,
unter dem Begriff "Impact" seit vielen Jahrzehnten eine völlig selbstverständliche Praxis. Im britischen "Research Excellence Framework" wird "impact" beschrieben  als "an effect on, change or benefit to the
economy, society, culture, public policy or services, health, the environment or quality of life, beyond academia." Wie dieser Effekt genau erzielt wird, ist zweitrangig.



 



Wo die gesellschaftliche Wirkung
von Wissenschaft anfängt



 



Hill benutzte zur Erläuterung das Beispiel der britischen Covid-Warn-App. Eine App sei einfach nur eine App. "It's just a thing that sits on your phone." Ihr Vorhandensein bedeute daher noch
keine gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaft. Die komme erst, wenn  "people (to) continue their lives, not catch Covid, isolate themselves when they have Covid. That's the impact, the
change, the effect."



 



Während eine solche Perspektive in Deutschland eher die Sorge um die Unabhängigkeit von Grundlagenforschung triggert, profitiert, Steven Hill zufolge, gerade exzellente Forschung von einer so
definierten Impact-Orientierung. Diesen Schluss ermöglicht die spezifische Förder- und Reviewpraxis von Research England. Während die DFG festhält, dass sie keine transferbezogene Agenda
verfolge, ist es bei Förderanträgen bei Research England Pflicht, den intendierten Impact im Antrag zu beschreiben. Auch der Forschungshaushalt der Hochschulen wird anhand eines
Indikatorensystems, das seit 2014 im Rahmen des Research Excellence Frameworks erhoben wird, bestimmt. Impact Case Studies werden in diesem Kontext zu 25 Prozent gewichtet. Die Fallstudien werden veröffentlicht und
stehen so der akademischen Community als Forschungsdaten, Informations- und Inspirationsquelle zur Verfügung.



 



Steven Hill betont, dass es wichtig sei, in offenen Zeit- und Raumbezügen zu denken, wolle man den Effekt wissenschaftlicher Forschung auf die gesellschaftliche Entwicklung korrekt verstehen.
Nicht jede Forschung zeige unmittelbar eine Wirkung ‑ manchmal brauche es viel Zeit, bis eine Idee zu einer greifbaren gesellschaftlichen Veränderung heranreift. Und natürlich verändere sich
diese Idee auf dem Weg.



 



Keine Sorge vor
kurzatmigen Anwendungsbezügen



 



Damit wird das britische Impact-Konzept dann doch gut anschlussfähig auch für diejenigen unter den deutschen Wissenschaftler:innen, die sich Sorgen um allzu kurzatmige Anwendungsbezüge machen.
"Impact" meint nicht angewandte Forschung. "Impact" zeigt die gesellschaftsverändernde Rolle von Forschung auf,  kann der Forschung aber auch eine gesellschaftsgestaltende Richtung geben.



 



Auch wenn ein solcher Satz in Deutschland Ängste vor Fremdbestimmung und politischer Einflussnahme mobilisieren dürfte: Man kann ihn auch ganz angstfrei als Angebot verstehen, sich stärker
gesellschaftlichen Fragen zu öffnen oder Fragen nach möglichen Bedeutungen der eigenen Arbeit jenseits rein akademischer Diskussionen mitlaufen zu lassen.

Es ist gut, wenn sich Forschung ihre Themen nicht von außerakademischen Akteuren vorgeben lässt. Gleichzeitig stellt es noch keinen Angriff auf die wissenschaftliche Freiheit dar,
gesellschaftlich relevanten Themen einen größeren Raum bei Entscheidungen für Forschungs- oder Lehrprojekte zuzumessen. Ein Transfer, der sich nicht an seinem "Impact" bemessen will, bleibt
letztlich symbolisch wie eine ausgestreckte Hand, der es gleichgültig ist, ob eine andere sie ergreift.



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