Blogbeitrag5. März 2024

Novelle des Tierschutzgesetzes verunsichert Wissenschaftler

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Abstract

Das Landwirtschaftsministerium will das Tierschutzgesetz verschärfen – mit Folgen für die Wissenschaft. Die Forschungsministerin muss ein "Stopp"-Zeichen setzen.





"GEFÄNGNIS FÜR TIERVERSUCHE?", fragte Research Table vergangene Woche, als der Newsletter
über den Referentenentwurf zur Tierschutzgesetz-Novelle berichtete. Und in der Tat: Was notorischen Tierquälern das Handwerk legen soll, würde, wenn die Reform so durchkäme, zugleich eine massive
Abschreckungswirkung für die biomedizinische Forschung verursachen. 



 



Dabei ist gar nicht neu, dass Haftstrafen möglich sind für das Töten eines Wirbeltieres "ohne vernünftigen Grund", und zwar bis zu drei Jahre, genauso für das Zufügen erheblicher Schmerzen oder
Leiden "aus Rohheit" oder über einen länger anhaltenden oder sich wiederholenden Zeitraum. Jetzt aber will das federführende Bundeslandwirtschaftsministerium Cem Özdemir (Grüne) den
diesbezüglichen Artikel 17 im Tierschutzgesetz verschärfen durch die Bestimmung: "Wer eine in Absatz 1 bezeichnete Handlung beharrlich wiederholt oder aus Gewinnsucht oder in Bezug auf eine große Zahl
von Wirbeltieren begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."



 



Was hat das mit der
Forschung zu tun?



 



Das Zusammenspiel schwammiger Begrifflichkeiten – was ist ein vernünftiger Grund, was ist Rohheit, was ist ein länger anhaltender Zeitraum, und neu, was eine große Zahl von Wirbeltieren und was
eine beharrliche Wiederholung – erzeugt zusammen mit der Verschärfung des Strafrahmens ein Gesamtszenario, das noch stärker einschüchternder auch auf Forschende wirken wird (und soll?) als die
bisherigen Bestimmungen. Der unbestimmteste und damit an Forschungsverhinderung grenzende Begriff folgt aber im ebenfalls neuen Absatz 4: "Handelt der Täter… leichtfertig, so ist die
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe."



 



So ethisch gerechtfertigt und professionell die Nutzung von Tieren auch liefe, bliebe immer ein kaum einschätzbares juristisches Risiko für die Forschenden. Was Özdemirs Ministerium in Kauf nimmt
– und so eine Geringschätzung für die biomedizinische Forschung und ihre gesellschaftliche Bedeutung offenbart, die gerade angesichts der ohne Tierversuche undenkbaren Entwicklung von
Corona-Impfstoffen (um nur ein Beispiel zu nennen) schwer erträglich ist.  



 



Doch leider passt der Referentenentwurf der Novelle damit in den Zeitgeist. Die Universität Bremen etwa hat gerade Beschwerde eingereicht beim Bundesverfassungsgericht gegen die Anfang 2023 beschlossene Neufassung
des Landeshochschulgesetzes. Demzufolge soll nicht nur auf die Tötung von Tieren für die Lehre verzichtet werden, sondern auch "auf die mit Belastungen verbundene Verwendung von lebenden
Tieren zur Einübung von Fertigkeiten und zur Veranschaulichung von biologischen, chemischen und physikalischen Vorgängen“. Mit sehr eng gefassten Ausnahmen. 



 



Und noch gravierender: Mit der grundsätzlichen Angemessenheit von Tierversuchen in Lehre und in Forschung müssen sich jetzt in Bremen Kommissionen an den Hochschulen beschäftigen, die laut Gesetz
"paritätisch" mit Wissenschaftlern und von Tierschutzorganisationen benannten Personen besetzt werden sollen – und mit deren Votum sich dann Dekanate, Senate, Rektorate und Behörden
auseinandersetzen müssen. Eindeutiger kann man gegen die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz nicht verstoßen, sollte man denken – und wundert sich, wie solch eine Regelung überhaupt beschlossen
werden konnte. 



 



Zweimal Schiffbruch in Bremen,
trotzdem der nächste Versuch



 



Übrigens haben in der Vergangenheit bereits zwei Bremer Landesregierungen Schiffbruch erlitten mit ihren jeweils sehr eigenwilligen Interpretationen des Kampfes gegen Tierversuche, als sie
stümperhaft – und beide Male am Ende gerichtlich bescheinigt rechtswidrig – versuchten, die über viele Jahre laufenden Experimente mit Affen am Institut für Hirnforschung zu beenden. 



 



Zurück zur Bundesebene. Bis vergangenen Freitag mussten die Wissenschaftsverbände ihre Stellungnahmen einreichen. Diese dürften in allen Fällen sehr deutlich ausgefallen sein. Umso wichtiger,
dass Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der Ressortabstimmung ein Stoppzeichen setzt.



 



Ja, auch der Tierschutz hat seit seiner Einfügung in den Grundgesetzartikel 20a im Jahr 2002 Verfassungsrang. Doch im Gegensatz zum Recht der Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit
(Artikel 2) und zur Wissenschaftsfreiheit (Artikel 5) gehört der Tierschutz nicht zu den noch einmal besonders geschützten Grundrechten.



 



Differenzierte, nicht plakative Formen der Abwägung sind gefragt. Im Notfall erledigen das am Ende Verfassungsrichter. Doch bis es soweit ist, ist der Schaden schon geschehen. Für die
Wissenschaftsfreiheit, für das gesamtgesellschaftliche Wohl – und für das Vertrauen in die Qualität politischer Entscheidungen. 



 



Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's
wissen" im Tagesspiegel.



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