Blogbeitrag15. November 2023

Eine Akademie für bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

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Abstract

Der Bundestag berät einen großen Ampel-Antrag zur Internationalisierung der Wissenschaft. FDP-Wissenschaftspolitiker Stephan Seiter sagt, welches Signal die Koalitionsfraktionen damit setzen wollen – und was ihm ein persönliches Anliegen ist.






Stephan Seiter, 60, ist seit 2021 FDP-Bundestagsabgeordneter und Sprecher seiner Fraktion für Forschung, Technologie und Innovation.
Vorher war er Professor für Volkswirtschaftslehre an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen. Foto: DBT/Stella von Saldern.






Herr Seiter, die Ampelfraktionen haben einen umfangreichen Antrag zur Internationalisierung von Wissenschaft und Hochschulbildung in den Bundestag eingebracht, der voraussichtlich bereits
am heutigen Mittwoch im Plenum debattiert wird. Wie passt der in die Zeit der Kriege, Konfrontationen und des gegenseitigen Misstrauens?



 



Er passt genau in diese Zeit einer neuen geopolitischen Lage. Es geht um Offenheit im Bewusstsein der Risiken. Eine interessengeleitete Internationalisierung, wie wir sie in dem gemeinsamen
Antrag von SPD, Grünen und FDP fordern, bedingt, dass die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen mehr professionelle Unterstützung und Beratung erhalten im Umgang mit Staaten, die es mit der
Wissenschaftsfreiheit nicht so genau nehmen. Zugleich wollen wir verdeutlichen, dass Deutschland offen bleibt für internationale Forschende, die zu uns kommen möchten. Wissenschaftlicher
Protektionismus, das Abschotten und Abschneiden von Forschungskooperationen, wie manche Leute es fordern, kann keine Antwort sein auf die Krisensituation. Das ist die wertgeleitete Dimension
unseres Antrags. Hierzu gehört praktisch, dass wir es den ausländischen Studierenden und Wissenschaftlern leichter machen, zu uns zu kommen. Die Visavergabe ist ein Riesenproblem, manch schon
vereinbarter Aufenthalt verzögert sich massiv, weil die deutschen Botschaften im Ausland nicht genug Termine vergeben können.



 



Angesichts Ihres klaren Plädoyers pro Internationalisierung wundert schon, dass die Bundesregierung gleichzeitig derart stark bei Mittlerorganisationen wie der
Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) einsparen will, dass deren Präsident deren Fortbestand "langsam gefährdet" sieht. Und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) muss zum Beispiel
nächstes Jahr die Ukraine-Sonderhilfen einstellen.



 



Wir wissen alle, dass die Situation der öffentlichen Haushalte angespannt ist. Aber die Budgetverhandlungen laufen noch, weshalb wir in unserem Antrag explizit auf die Relevanz der AvH- und
DAAD-Programme hingewiesen haben. 



 



"Natürlich hoffen wir, dass sich noch Verbesserungen  im Bundeshaushalt umsetzen lassen."



 



Am Donnerstag, nur einen Tag nach der Plenardebatte zu dem Internationalisierungsantrag, findet die entscheidende Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses für den Bundeshaushalt 2024
statt. Wollten Sie als Ampel-Wissenschaftspolitiker vorher nochmal ein Zeichen setzen?



 



Diese zeitliche Nähe ist der parlamentarischen Terminplanung geschuldet. Aber natürlich hoffen wir, dass sich noch Verbesserungen umsetzen lassen, denn wer Fortschritt wagen will, muss die
Internationalisierung vorantreiben. Wobei wir mit unserem Antrag zugleich langfristig wirken wollen. Indem wir jetzt eine Strategie zur Internationalisierung vorlegen, die in den nächsten
Haushaltsverhandlungen ihre Wirkung entfaltet.



 



Von den 36 Einzelpunkten des Antrags sind 26 Forderungen an die Bundesregierung, deren Umsetzung zum Teil beträchliche Mengen an Geld kosten würde. Hier durften sich alle
Koalitionspartner mit ihren individuellen Wünschen verewigen?



 



Es geht nicht um individuelle Wünsche, sondern für mich ist der Antrag ein Zeichen, dass die Ampel-Koalition in vielen Bereichen sehr gut zusammenarbeitet. Kai Gehring von den Grünen, Ruppert
Stüwe von der SPD und ich haben ihn miteinander konzipiert, natürlich mithilfe unserer Mitarbeiter, wir haben ihn immer wieder mit den Fachpolitikern unserer Fraktionen abgestimmt. Oft werden in
der Öffentlichkeit die Debatten, die wir in der Ampel haben, vor allem als Streit interpretiert. Ich finde aber, wir brauchen mehr solche engagierten Diskussionen. Auch wenn wir hier und da weit
auseinanderliegen, nur in der Auseinandersetzung miteinander finden wir gemeinsame Lösungen. Ich halte das für gute politische Kultur.



 



"Das Signal soll sein: Wenn ihr euer Land verlassen müsst, könnt ihr bei uns in Deutschland weiterarbeiten"



 



Welche Punkte sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig an dem Antrag?



 



Zu der Bedeutung einer Willkommenskultur, die sich auch in einer reibungslosen Visavergabe zeigt, habe ich etwas gesagt. Dieses Thema müssen wir wirklich schnell lösen. Ein persönliches Anliegen
ist mir darüber hinaus die Idee einer Akademie für verfolgte und bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, konzipiert nach dem Vorbild der "University in Exile" der New School in New
York. Natürlich wird so eine Akademie nicht jeden aufnehmen können, aber das Signal soll sein: Wenn ihr euer Land verlassen müsst, könnt ihr bei uns in Deutschland weiterarbeiten und forschen,
auch wenn ihr bislang keine wissenschaftliche Kooperation mit deutschen Partnern habt. 



 



Wir sprechen also von einem physischen Ort, einer neuen Universität?



 



Das Konzept müssen wir erst noch an die deutsche Situation anpassen. Wie Sie wissen, liegen Universitäten bei uns primär in der Verantwortung der Länder. Idealerweise reden wir aber schon von
einem echten Anlaufpunkt, einer Akademie, in der die die Forschenden zusammenkommen können. Natürlich nicht auf Dauer, weil es ein Ort des Durchgangs sein soll, bevor sie anderswo in Deutschland
und Europa wissenschaftlich Fuß fassen. Die Fragen der Trägerschaft, der Finanzierung und der Positionierung einer solchen Einrichtung in der Forschungs- und Bildungslandschaft müssen wir klären,
und genau darauf wollen mir mit unserem Antrag hinwirken.



 



Wenn Sie von mehr Beratung und Unterstützung der deutschen Wissenschaft im Umgang mit autoritären Staaten reden, was meinen Sie genau? Explizit fordert der Antrag die Bundesregierung auf,
"in Sicherheitsbehörden und Wissenschaftseinrichtungen weiterhin darauf hinzuwirken, dass für Sicherheitsrisiken und hybride Bedrohungen auf das Bildungs- und Forschungssystem sensibilisiert
wird". Passiert das nicht längst?



 



Ja, aber das reicht noch nicht. Die Sicherheitsbehörden und Geheimdienste können und sollten regelmäßige Briefings für die deutsche Wissenschaftslandschaft erstellen, die über neue und
fortbestehende Risiken informieren. Außerdem brauchen wir, nicht zwingend verpflichtend, Schulungen für Forschende, wie sie Cyberbedrohungen besser erkennen können. Anlaufstellen wie das
Kompetenzzentrum internationale Wissenschaftskooperationen (KiWi) beim DAAD, wo Forschende Beratung erhalten, bevor sie in konkrete Kooperationen hineingehen, haben wir als Koalition finanziell
bereits gestärkt, hier müssen wir noch intensiver über die vorhandenen Angebote informieren. 



 



"Forschende brauchen keine Bevormundung durch die Politik, sondern qualifizierte Unterstützung"



 



Kein großer Antrag zur Internationalisierung der Wissenschaft kommt ohne Klärung der Beziehung zu China aus. Ihre Parteikollegin Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat die
Hochschulen mehrfach mit deutlichen Worten zur Überprüfung ihrer Kooperationen aufgefordert. Wie würden Sie die gemeinsame Linie der Ampel beschreiben?



 



Der Antrag macht deutlich, dass die Bearbeitung vieler globaler Herausforderungen, an erster Stelle des Klimawandels, ohne China unmöglich sein wird, daher, ich sagte es, bitte keine Abkopplung.
Aber natürlich müssen wir an die Zusammenarbeit mit chinesischen Forschenden anders herangehen, als wenn wir mit US-Hochschulen kooperieren. Wir müssen uns immer bewusst sein, dass die
Wissenschaft in China unter staatlichem Einfluss steht, was gerade bei Forschung mit potenziellem Dual Use von großer Bedeutung ist. Darum sollten Forschende bei jeder Kooperation mit China eine
Risikobewertung vornehmen und auf deren Grundlage die Entscheidung treffen, ob sie die Kooperation tatsächlich eingehen oder nicht. Doch brauchen Forschende hier keine Bevormundung durch die
Politik, sondern qualifizierte Unterstützung. Ich bin davon überzeugt, dass sie schon jetzt mit offenen Augen und Ohren agieren.


CDU/CSU: Ampel-Rückzug bei Internationalisierung


Parallel zu den Ampel-Fraktionen hat auch die Unionsopposition einen Antrag zur Internationalisierung eingebracht, in dem sie einen Rückzug der Bundesregierung aus
der internationalen Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung kritisiert.



 



CDU und CSU verweisen unter anderem auf die Ankündigung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH), sie müsse aufgrund der mangelnden Finanzierung das
prestigeträchtige Bundeskanzler-Stipendium für Nachwuchsführungskräfte einstellen. "Die Handschrift der Regierungskoalition aus SPD, Grüne und FDP im Bildungs- und Wissenschaftsbereich scheint
vor allem mit dem Rotstift gezeichnet zu werden." 




Konkret fordert die Union, Bundeskanzler Scholz müsse sich darum kümmern, geeignete Rahmenbedingungen zur Fortführung des  Bundeskanzler-Stipendiums zu
schaffen. Außerdem solle die Bundesregierung für Klarheit sorgen, ob und wie sie "das von der Regierungskoalition gegebene Versprechen einer institutionellen Förderung von DAAD und AvH analog zum
Pakt für Forschung und Innovation noch einlösen wird". Schließlich solle sie dem Bundestag kurzfristig ein zielgerichtetes Maßnahmenpaket zur Sicherung der auch internationalen
Wettbewerbsfähigkeit der Stipendienhöhe deutscher Vermittlerorganisationen vorlegen und die Voraussetzungen für eine zügige Umsetzung schaffen.










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