Blogbeitrag23. Oktober 2023

Club ohne Richtung

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Abstract

Eine Unternehmensberatung hält der Kultusministerkonferenz gnadenlos den Spiegel vor. Wer wissen will, warum der Bildungsföderalismus zu wenig auf die Kette bringt, findet in der internen Analyse mehr Antworten, als ihm lieb ist.






Foto: Pxhere, CCO. 






ES WAR EINE ungeschminkte Analyse, die die Kultusminister während ihres Treffens vorvergangene Woche in Berlin präsentiert bekamen. Auf 19 Slides trugen Mitarbeiter des Beratungsunternehmens
Prognos den Zustand der Kultusministerkonferenz (KMK) vor. Die Minister hatten sie selbst in Auftrag gegeben als Teil ihres Reform-Projekts "KMK 2025", wobei es außer der Einigkeit darüber, etwas
verändern zu wollen, bislang wenig Einigkeit gab, was genau – und wie.



 



Das könnte sich nun bald ändern, denn der Handlungsdruck, der sich aus der internen Prognos-Evaluation ergibt, ist groß. Zu eindeutig sind Unzulänglichkeiten, Unstimmigkeiten und Ineffizienzen
der KMK, ihrer Organisation und Entscheidungsabläufe, deren Auswirkungen den deutschen Bildungsföderalismus prägen, aber bislang nie in dieser Form auf den Punkt gebracht wurden. 



 



177 Gremien, 600 Sitzungen pro Jahr



 



Wenig überraschend, dafür atemberaubend in seinen Dimensionen ist der Gremien-Wildwuchs, den die Unternehmensberater erstmals mit genauen Zahlen unterlegen: 177 Gremien, die insgesamt fast
600 Mal im Jahr konferieren unter Beteiligung von 1.300 Einzelpersonen zumeist aus den für Bildung, Hochschule, Wissenschaft und Kultur zuständigen Landesministerien. Hinzu kommt, dass diese
Gremien kaum untereinander vernetzt sind, denn Mehrfachmitgliedschaften seien "wenig ausgeprägt", hat Prognos festgestellt. 



 



Man konferiert also nebeneinander her, hat aber kaum Beschlussmacht: Denn 434 der 595 Sitzungen fanden 2022 in den 123 sogenannten AGs statt, die irgendwann einmal zu irgendeinem Zweck eingesetzt
wurden. Wobei es noch krasser geht: Denn weitere 59 Sitzungen, mehr als eine pro Woche, entfielen auf 29 weitere AGs, die sich ohne Einsetzungsbeschluss von oben einfach selbst gebildet haben.
Und neue Gremien kommen beständig hinzu: Allein 2022 waren es ein weiteres Dutzend.



 



Was der KMK gleichzeitig fast völlig abgeht, ist die strategische Steuerung. Nicht nur trifft sich das Präsidium nur einmal im Monat. Auch ist die Verwaltung der Kultusministerkonferenz, das
KMK-Sekretariat, dazu personell völlig ungeeignet aufgestellt. Von den gut 414 Vollzeit-Planstellen entfallen überhaupt nur 78 auf die drei Abteilungen, die sämtliche föderale Koordination in
Schule, Hochschule Wissenschaft, Kultur, Qualitätssicherung, Internationales und Statistik leisten sollen. Und nur 4,7 Stellen davon sind laut Prognos für führende und übergreifende Aufgaben
vorgesehen. 



 



Während der Großteil der KMK-Mitarbeiter in der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) mit der Bewertung von im Ausland erworbenen Qualifikationen zuständig ist oder zum
Pädagogischen Austauschdienst (PAD) gehört. 



 



"Wenig Flexibilität und Steuerungsmöglichkeit"



 



Insgesamt sei das KMK-Sekretariat von der Organisation her "versäult mit wenig horizontaler Zusammenarbeit und Informationsaustauch". Die kleinteilige Aufgabenzuordnung und der Zuschnitt der
Organisationseinheiten böten "wenig Flexibilität und Steuerungsmöglichkeit", das Wissensmanagement sei dezentral und konzentriere sich auf Fachwissen. Und dann mangele es in den Kernprozessen
auch noch an technischer Unterstützung.



 



All das hat weitreichende Folgen für die Entscheidungsprozesse. Die Tagesordnung der Kultusministerkonferenz entstehe zum großen Teil "Bottom Up", resümieren die Prognos-Berater nach einer
Vielzahl von Gesprächen, die sie in den Landesministerien, im KMK-Sekretariat und drumherum geführt haben. Anders gesagt: Die Arbeitsebene spült zur Entscheidung nach oben, was sie für relevant
hält, und die die Chefs sollen sich dann damit beschäftigen. 



 



Genau darüber klagen viele Kultusminister schon seit Jahren, aber so richtig geändert haben sie daran bislang nichts. Die Kritik, dass die KMK-Tagesordnungen nicht zu den aktuellen Themen der
Bildungspolitik passten, wurde auch gegenüber Prognos wiederholt, ebenso dass längerfristige Themen und Schwerpunktsetzungen nur in Ansätzen vorhanden seien. Es gebe "wenig systematische
Steuerung oder Priorisierung von Beratungsgegenständen". 



 



Hinzu kommt das unausgegorene Nebeneinander der Themen: Der Bereich Schule dominiere die KMK-Beratungen, es gebe unklare Prioritäten für Beratungen zu Hochschulen. Die gegenwärtige Teiltrennung
zwischen Schule und Hochschule werde als "nicht funktional beschrieben", berichtet Prognos. Während sich die Kulturminister in ihrer eigenen Konferenz eine weitgehende Eigenständigkeit gesichert
haben.



 



Das Ganze dauert dann auch noch entsprechend lang. "Strukturbedingt lange Entscheidungszyklen" nennt Prognos das: Von Beratungsbeginn bis zu einem Beschluss vergehen demzufolge üblicherweise
mindestens neun Monate. Wobei die Gremienbefassung (Stichwort "wiederholte Auseinandersetzung") sich zwischendurch im Kreis bewegt. Diese Struktur, warnen die Berater, sei "für politisch-akute
Themen nicht geeignet". 



 



Wozu führt die Schonungslosigkeit der Analyse?



 



Ein KMK-Sekretariat, das einer grundlegenden Strukturreform bedarf; ein anarchisch anmutender Gremienwust ohne funktionierenden Informationsaustausch; Entscheidungsabläufe, bei denen die
Arbeitsebene der Führung die Richtung vorgibt: Wer sich fragt, warum in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrscht, der Bildungsföderalismus bekomme zu wenig auf die Kette, findet in der
Prognos-Evaluation mehr Erklärungen, als ihm lieb ist. 



 



Die entscheidende Frage: Wozu führt die Schonungslosigkeit der Unternehmensberater? Zucken die Kultusminister mit den Achseln nach dem Motto: Da könne man nichts machen? Sind einige womöglich
ganz froh über die Ergebnisse, weil sie gar keine strategiefähige KMK wollen? Oder rauft man sich zusammen und entwickelt einen gemeinsamen Plan, wie der Föderalismus rauskommt aus diesem
Schlamassel?



 



Seit ihrer Feier zum 70-jährigen Jubiläum vor bald sechs Jahren befindet sich die KMK, teilweise selbst gewollt, teilweise von außen aufgezwungen, inmitten einer Reformdebatte. Tatsächlich ist
bereits einiges passiert: Ein neues Bildungsabkommen wurde geschlossen, eine eigene Kulturministerkonferenz eingerichtet und die Ständige Wissenschaftliche Kommission eingesetzt. 



 



Doch jetzt endlich, mahnen die Prognos-Berater in ihren Empfehlungen, müssten die Kultusminister strategisch die "grundlegenden Fragen der Struktur und des Aufgabenzuschnitts der KMK" klären. Nur
dass die Verantwortlichen sich eben genau darum seit Jahren herumdrücken – aus purem Desinteresse oder weil sie fürchten, eine funktionierende KMK würde zugleich Schluss machen mit dem
kleinsten gemeinsamen Nenner. Was Alleingänge von Ländern deutlich erschweren würde.



 



Weshalb Prognos – wissend um die Widerstände – betont, die operative Weiterentwicklung der "Aufgabenerledigung" in der KMK sei einerseits "direkte Konsequenz" aus den strategischen Empfehlungen,
könne aber auch "für sich allein stehen". Zusätzlich brauche es Details zur Weiterentwicklung von Gremien und Sekretariat auf der Grundlage der Analyse. 



 



Fest steht: Laut Zeitplan sollen die Kultusminister in ihrer Dezembersitzung die Bestandteile und Umsetzungsplanung des Projekts "KMK 2025" (interne Agentur-Bezeichnung) beschließen. Dann lässt
er sich endlich nicht mehr aufschieben, der Zeitpunkt zum Farbebekennen.  Diese Woche schon trifft sich zur Vorbereitung der Beschlüsse erneut die Strukturkommission "Weiterentwicklung
der Kultusministerkonferenz und des Sekretariats der Kultusministerkonferenz". Eingesetzt 2022, trug auch sie zum KMK-Gremienwachstum bei. Aber ausnahmsweise auf heilsame Weise. 




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