Entwicklung der transdisziplinären Methode "Akteursbasierte Modellierung" und ihre Anwendung im Problemfeld der mobilen, organischen Fremdstoffe : die Verknüpfung von Akteurswahrnehmungen, partizipativer Szenarienentwicklung und sequentieller Modellierung von Handlungsentscheidungen
Abstract
Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen des Forschungsprojekts "Integrierte Analyse von mobilen, organischen Fremdstoffen in Fließgewässern" (INTAFERE) am Institut für Physische Geographie an der Goethe-Universität Frankfurt erstellt. In INTAFERE wurde das Gefährdungspotenzial von mobilen, organischen Fremdstoffen (MOF) für aquatische Ökosysteme und die natürlichen Wasserressourcen in integrierter und partizipativer Art und Weise untersucht. MOF sind chemische Substanzen, die in Alltagsprodukten enthalten sind und durch unterschiedliche Eintragsfade in unbekannten Mengen in Oberflächengewässer eingetragen werden. Problematisch sind aus Umweltgesichtspunkten ihre Eigenschaften: sie besitzen im Wasser eine hohe Mobilität und sind schwer abbaubar. Dies führt zu einer Persistenz über lange Zeiträume. Für einige dieser Substanzen wurde zudem gezeigt, dass sie in sehr geringen Konzentrationen biologisch aktiv sind und für aquatische Ökosysteme eine Gefahr darstellen. In INTAFERE wurden drei zentrale Ziele verfolgt: Charakterisierung des Problemfeldes MOF, Erzeugung von praxisrelevantem Wissen für das Management von MOF und Entwicklung einer Softwareanwendung, die gesellschaftliche Aushandlungsprozesse durch eine transparente Darstellung der Wirkungszusammenhänge im Problemfeld unterstützt. Um einen Beitrag für die Erfüllung der Ziele zu leisten, war es die Aufgabe der Verfasserin, eine Akteursanalyse und -modellierung durchzuführen sowie Zukunftsszenarien im Bereich der MOF zu entwickeln. Dafür existierte keine adäquate Methodik, daher verfolgt die Dissertation zum einen die Entwicklung einer Methodik und zum anderen deren Anwendung im Kontext des Projektes INTAFERE. Da im Forschungsprozess die Durchführung von Analysen, die wissenschaftliche und gesellschaftliche Sichtweise der Problematik sowie die Erarbeitung von praktischen Lösungen im Mittelpunkt standen, wurde eine transdisziplinäre Herangehensweise gewählt. Ziel war es, eine Methodik zu entwerfen, die sowohl eine Entwicklung von Szenarien als auch eine Modellierung von Handlungsentscheidungen umfasst. Eine Modellierung und Visualisierung von Handlungsentscheidungen ist notwendig, um Strategien für ein Umweltproblem für verschiedene Szenarien zu ermitteln, und damit einen Lernprozess der Stakeholder zu initiieren. Dies wurde mit der transdisziplinären Methode "Akteursbasierte Modellierung" umgesetzt. Hierbei wurden insbesondere Aspekte der Problemwahrnehmung von Akteuren und deren Darstellung, der partizipativen Szenarienentwicklung sowie der semi-quantitativen Modellierung von Handlungsentscheidungen berücksichtigt. Die Verfasserin hat mit der semi-quantitativen akteursbasierten Modellierung eine Methode erarbeitet und getestet, die bisher unverbundene Komponenten (wie die Software Dynamic Actor Network Analysis (DANA) und die Szenarienentwicklung) zusammenführt. Um Handlungsentscheidungen unter verschiedenen Szenarien zu modellieren hat die Autorin eine sequentielle Modellierung entwickelt, die mit der Software DANA durchgeführt werden kann. Die dafür notwendige Weiterentwicklung von DANA wurde von Dr. Pieter Bots (TU Delft) umgesetzt. Die akteursbasierte Modellierung läuft in drei methodischen Schritten ab: 1. Modellierung von Akteurs-Sichtweisen in Form von Wahrnehmungsgraphen und deren Analyse, aufbauend auf Ergebnissen von qualitativen, leitfaden-gestützten Expertengesprächen (= Akteursmodellierung), 2. partizipative Szenarienentwicklung mit den Akteuren und 3. Zusammenführung der Ergebnisse der Akteursmodellierung und der Szenarienentwicklung und darauf aufbauend eine sequentielle Modellierung von Handlungsentscheidungen und deren Auswirkungen auf Schlüsselfaktoren. Im Zuge der Anwendung auf das Problemfeld der MOF wurde für folgende Akteure jeweils ein Wahrnehmungsgraph modelliert: Obere Wasserbehörde, Umweltbundesamt, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Wasserversorger sowie für die Hersteller von verschiedenen MOF, weiterhin für die European Flame Retardants Association und die Weiterverarbeitende Industrie. Das Ergebnis der Szenarienentwicklung waren vier Szenarien: ein Gesundheitsszenario, unter der Annahme von hohen lokalen Umweltstandards durch nachhaltigkeitsorientierte KonsumentInnen, ein Umweltszenario, in dem eine starke Regulierung und nachhaltigkeitsorientierter Konsum Hand in Hand gehen, ein Globalisierungsszenario, in dem Wirtschaftsmacht und preisbewusste KonsumentInnen statt staatliche Regulierung vorherrschen und ein Technikszenario, unter der Annahme, dass Kläranlagen, bedingt durch eine starke Regulierung, aufgerüstet werden. Bei der Modellierung von Handlungsentscheidungen wurden die Wahrnehmungsgraphen und die vier Szenarien miteinander verknüpft. Pro Substanz wurde ein Modell entwickelt, welches die wichtigsten Systemkomponenten in einer angemessenen Komplexität umfasst und die von den Akteuren gemeinsam getragene Einschätzung der Wirkungsbeziehungen darstellt. Insgesamt wurden 16 Modelle entwickelt. Basierend auf den simulierten Akteurshandlungen wurden relativen Veränderungen der Schlüsselfaktoren Produktion, Import und Leistungsfähigkeit der Kläranlagen für die vier genannten Szenarien berechnet. In Zusammenarbeit mit Pieter Bots konnten algorithmische Beiträge zur Analyse- und Modellierungssoftware DANA getestet und verbessert werden. Da keine vollständige und zugleich leicht verständliche Einführung zu DANA vorlag, wurde für Nutzer im Rahmen dieser Dissertation eine Anleitung verfasst, die die Modellierung von Wahrnehmungsgraphen und deren Analyse sowie alle Schritte der akteursbasierten Modellierung mit DANA erläutert. ; This dissertation is based on the research project "Integrated analysis of mobile organic xenobiotics in rivers" (INTAFERE) at the Goethe-University Frankfurt, Institute of Physical Geography. In INTAFERE, the potential risk of mobile organic xenobiotics (MOX) for aquatic ecosystems and natural water resources was investigated in an integrated and participative manner. MOX are chemical substances, contained in everyday products, which enter the surface water in unknown quantities through several pathways. From an environmental point of view, their characteristic features are problematic: They have a high mobility in water and are not easily degradable. This causes persistence over long periods. For some of these substances it has been scientifically proven that they are biologically active in small concentrations and pose a threat to aquatic ecosystems. During the INTAFERE project, three goals were pursued: The characterization of MOX as a problem domain, the generating of practice-orientated knowledge for the management of MOX and the development of a software that supported social processes of negotiation by a transparent depiction of the interdependencies within this problem domain. In order to contribute to the accomplishment of the goals, it was the task of the author to perform an actor analysis as well as an actor modelling and develop future scenarios for the field of MOX. There were no adequate methods available; therefore, this dissertation deals with the development of a methodology and its application within the context of the INTAFERE project. Since the focus during the research process was mainly on the implementation of analyses, the scientific and social perception of the problem and the development of practical solutions, a transdisciplinary approach was chosen. The aim was to design a methodology, which comprises the development of scenarios as well as a modelling of decisions for acting. Modelling and visualization of decisions for acting is necessary in order to identify strategies for an environmental problem in different scenarios of the future, and thus initiate a learning process of the stakeholders. To achieve this, the transdisciplinary method "actor-based modelling" was developed and implemented. In this context, the problem perceptions of the actors and their visualization, the participatory development of scenarios and the semi-quantitative modelling of actions were considered. With semi-quantitative actor-based modelling, the author has developed and tested a method that combines components, which were unrelated until then, namely the software Dynamic Actor Network Analysis (DANA) and the development of scenarios. In order to model actions in various scenarios, the author has developed a sequential modelling that is carried out by DANA. The necessary software implementation within DANA was done by Dr. Pieter Bots (TU Delft). The actor-based modelling proceeds in three methodical steps: 1. the modelling of the actors' point of view with the help of perception graphs and their analysis, based on the outcomes of qualitative guided expert interviews (= actor modelling), 2. the development of scenarios with the actors and 3. the merging of the outcomes of the actor modelling and of scenario development, with a sequential modelling of actions and the impact of these actions on key factors. In the cause of the application to the problem domain MOX, one perception graph was developed for each of the following actors: water authority, Federal Environment Agency, non-governmental organisations, water supplier, producers of various MOF, European Flame Retardants Association and processing industry. The results of the scenario development were four different scenarios: A health-oriented scenario based on the assumption of high local environmental standards due to consumers who are focused on sustainability; an environmentally-oriented scenario that combines a strong regulation and an attitude of sustainability towards consumption; a globalization scenario, in which economic power and price-conscious consumers dominate instead of government control; and a technology-oriented scenario where waste water treatment is a means of regulating MOX. During the modelling, the decisions for actions and the graphs of perception as well as the four scenarios were intertwined. For each substance one model was developed, which comprises the most important components of the system in an appropriate complexity as well as the actors' shared perception of the causal relationships. Alltogether, 16 models were developed. Based on the simulated actions, relative changes of the key factors production, import and efficiency of sewage disposal facilities in all four scenarios were calculated. In collaboration with Pieter Bots, algorithmic contributions to the analysing and modelling software DANA were tested and improved. Since there was no complete and coherent introduction to DANA, a user guideline that explains the modelling of perception graphs and their analysis as well as all steps of actor-based modelling was drafted within the framework of this thesis.
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