Bislang trotzt der deutsche Arbeitsmarkt dem wirtschaftlichen Einbruch im Gefolge der globalen Finanzkrise ebenso wie den ökonomischen Verwerfungen durch die Eurokrise. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern sinkt hierzulande die Arbeitslosigkeit im Trend und die Beschäftigung wächst. Was sind die Ursachen? Welche Rolle spielten die Arbeitsmarktreformen und das Krisenmanagement nach dem Lehman-Crash? Inwieweit ist der Job-Boom einer Expansion atypischer Beschäftigungsverhältnisse geschuldet? Das "Handbuch Arbeitsmarkt 2013" bietet eine umfassende Bestandsaufnahme des deutschen Arbeitsmarktes. Es skizziert die Entwicklung seit 2006, analysiert die kurz- und langfristigen Perspektiven und fasst arbeitsmarktrelevante Entscheidungen der Politik in einer detaillierten Chronik zusammen. Umfassend widmet sich der Band zwei aktuellen und zentralen Themen: * den Übergängen in Beschäftigung und deren Bedeutung für die Qualität der Arbeit sowie * den Folgen des jüngsten wirtschaftlichen Aufschwungs und des künftigen Rückgangs des Arbeitskräfteangebots für den Fachkräftebedarf. Ein ausführliches Register erlaubt die Suche nach wichtigen Stichworten. Der Datenanhang auf CD-ROM enthält umfangreiche und zum Teil international vergleichende Daten zu zentralen Indikatoren des deutschen Arbeitsmarktes, einschließlich aktueller Kennziffern zur sozialen Grundsicherung. Er ist auch im Internet zum kostenlosen Download verfügbar. Mehr zum "Handbuch Arbeitsmarkt 2013" finden Sie unter "http://www.
Aus der Einleitung: In der politischen Debatte in Deutschland ist man es gewohnt, dass in regelmäßigen Abständen immer mal wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des herannahenden Sommerlochs in der Berliner Republik. Von Dauerbrennern wie dem hohen Ölpreis mit seinen möglichen Ursachen und dem Klimawandel einmal abgesehen, gibt es kaum ein anderes Thema, dass die Gemüter in Politik und Wirtschaft zurzeit derart erhitzt, wie das Thema Mindestlöhne. SPD und Gewerkschaften wollen staatlich festgesetzte Lohnuntergrenzen, Union und Arbeitgeberverbände lehnen jegliche staatliche Einmischung in die Lohngestaltung ab. Die vorliegende Arbeit wird, vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über die Notwendigkeit sowie Sinn und Zweck staatlich festgesetzter Mindestlöhne, die wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Aspekte staatlich vorgegebener Lohnuntergrenzen durchleuchten. Dabei wird sich die Untersuchung auf die durch Legislative (allgemeiner, branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn) und Exekutive (Branchenmindestlöhne durch Rechts-verordnung im Wege des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes oder Mindestarbeits-bedingungengesetzes) vorgegebenen Lohnuntergrenzen beschränken. Die Setzung von Lohnuntergrenzen durch einzelfallbezogene richterliche Entscheidung (sog. richterlicher Mindestlohn) wird somit nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, zumal diese Form einer absoluten Lohnuntergrenze auch in der aktuellen Debatte über Mindestlöhne in Deutschland eine untergeordnete Rolle spielt. Im ersten Teil dieser Arbeit erfolgt zunächst eine Darstellung der derzeit in Deutschland geltenden gesetzlichen Regelungen, welche zur Festsetzung von Mindestlöhnen verwendet werden können. Hierbei handelt es sich zum einen um das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) und zum anderen das Mindestarbeits-bedingungengesetz (MindArbBedG). Beide Gesetze sind in ihrer Anwendung aber darauf beschränkt, dass mit ihnen lediglich Mindestlöhne in bestimmten Branchen festgesetzt werden können. Ein Gesetz, welches einen allgemeinen, branchen-übergreifenden Mindestlohn vorschreibt, gib es bisher noch nicht. Ein solcher branchenunabhängiger Mindestlohn, der eine absolute Lohnuntergrenze für jeden Arbeitnehmer in Deutschland vorsieht, wird aber von den Gewerkschaften und anderen Mindestlohnbefürwortern eindringlich gefordert. Der zweite Teil dieser Arbeit gibt zunächst einen Überblick über die in der aktuellen Debatte vorgebrachten Argumente pro und contra Mindestlöhne. Anschließend werden Ausmaß und Ursachen der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland näher untersucht. Denn eine Zunahme der zu Niedriglöhnen Beschäftigten wird als ein Hauptargument für die Notwendigkeit von Mindestlöhnen herangeführt. Im dritten Teil werden die wirtschaftlichen Folgen von Mindestlöhnen in Theorie und Praxis näher untersucht. Ziel ist es, zunächst anhand verschiedener wirtschaftstheoretischer Modelle aufzuzeigen, inwiefern sich staatlich festgesetzte Mindestlöhne auf die Beschäftigung auswirken und ob etwaige negative Beschäftigungseffekte durch eine gestiegene Kaufkraft eventuell wieder kompensiert werden können. Dabei wird von einem allgemeinen, branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn ausgegangen, da dieser in der Reichweite seiner Auswirkungen die gesamte deutsche Volkswirtschaft betreffen würde. Im Anschluss an die theoretische Analyse erfolgt dann eine Darstellung der aktuellen Empirie zu den tatsächlichen Auswirkungen von Mindestlöhnen. Abschließend soll ein Vergleich der Mindestlöhne anderer Staaten, welche sich für einen einheitlichen, branchen-übergreifenden Mindestlohn entschieden haben, einen weiteren Überblick über die Aus-wirkungen von Mindestlöhnen in Abhängigkeit vom allgemeinen Lohnniveau geben. Der vierte und letzte Teil dieser Arbeit widmet sich schließlich den rechtlichen Problemen von Mindestlöhnen. Hierbei werden sowohl die rechtlichen Fragen bezüglich der bereits vorhandenen gesetzlichen Grundlagen für Branchenmindestlöhne durchleuchtet, als auch die rechtlichen Probleme eines möglichen, per Gesetz angeordneten, allgemeinen branchenübergreifenden Mindestlohns aufgezeigt. Neben europarechtlichen Fragen stehen hier hauptsächlich verfassungsrechtliche Aspekte im Vordergrund. So ist zu klären, inwiefern staatlich festgesetzte Mindestlöhne in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie eingreifen und inwiefern die Regelung des Paragraphen 1 Abs. 3a AEntG mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 80 Abs. 1 GG vereinbar ist.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: AbkürzungsverzeichnisIV Abbildungs- und TabellenverzeichnisVII Einleitung1 Paragraph 1Die Möglichkeiten zur Einrichtung von Mindestlöhnen3 I.Die gesetzlichen Grundlagen für Branchenmindestlöhne in Deutschland3 1.Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)4 a)Das ursprüngliche AEntG4 aa)Allgemeinverbindlicherklärung gem. Paragraph 5 TVG5 bb)Allgemeinverbindlicherklärung gem. Paragraph 1 Abs. 3a AEntG6 cc)Die Anwendung beider Formen7 b)Das erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes8 c)Das zweite Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes9 2.Das Mindestarbeitsbedingungengesetz (MindArbBedG)10 II.Die geplanten Änderungen für beide Gesetze11 1.Die Einbeziehung weiterer Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz11 2.Die Reformierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes12 III.Der Stand der Entwicklung bis zum Stichtag 31.3.200815 Paragraph 2Die aktuelle Mindestlohndebatte und ihre Hintergründe17 I.Die Meinungen17 1.Die Argumente der Mindestlohnbefürworter18 a)Die Verhinderung von Lohndumping und ruinösem Wettbewerb18 b)Jeder soll von seiner Arbeit ohne staatliche Zuschüsse leben können20 c)Eindämmung des Niedriglohnsektors21 d)Ausgleich für die abnehmende Relevanz tariflicher Regelungen22 e)Stärkung der Kaufkraft24 2.Die Argumente der Mindestlohngegner24 a)Gefährdung bestehender und Verhinderung neuer Arbeitsplätze25 b)Ungeeignetes Mittel zur Armutsbekämpfung26 c)Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit27 II.Niedriglöhne in Deutschland und ihre Ursachen30 1.Umfang der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland30 a)Anteil der Niedriglohnbeschäftigten unter den abhängig Beschäftigten31 b)Struktur der Niedriglohnbeschäftigung31 c)Ergebnis33 2.Abnehmende Relevanz tariflicher Regelungen als Ursache von Niedriglöhnen34 a)Rückläufige Tarifbindung35 b)Mangelnde Wirksamkeit tariflicher Regelungen35 c)Zunehmendes Lohndumping in Deutschland37 Paragraph 3Mindestlöhne und ihre wirtschaftlichen Folgen37 I.Mindestlöhne und Beschäftigung in der Theorie38 1.Die neoklassische Arbeitsmarkttheorie39 a)Auswirkungen von Mindestlöhnen aus neoklassischer Sicht39 b)Annahmen und Probleme der neoklassischen Theorie42 2.Die keynesianische Perspektive: Stärkung der Kaufkraft44 a)Auswirkungen von Mindestlöhnen nach der Kaufkrafttheorie45 b)Auswirkungen von Mindestlöhnen - Eine Simulationsrechnung46 c)Probleme der Kaufkrafttheorie48 II.Tatsächliche Auswirkungen eines Mindestlohns auf die Beschäftigung51 III.Mindestlöhne und Beschäftigung im internationalen Vergleich53 1.Mindestlöhne und Beschäftigung in Europa und den USA53 a)Der britische Mindestlohn: The National Minimum Wage (NMW)54 b)Mindestlöhne im restlichen Europa und den USA55 c)Auf die Höhe kommt es an55 2.Zwischenfazit56 VI.Rückschlüsse für die deutschen Branchenlösungen58 Paragraph 4Rechtliche Probleme von Mindestlöhnen59 I.Rechtliche Probleme von Branchenmindestlöhnen60 1.Rechtliche Fragen bezüglich des AEntG60 a)Verletzung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG61 aa)Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit62 bb)Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit64 aaa)Das unterschiedliche Wortlautverständnis von Paragraph 1 Abs. 3a AEntG65 bbb)Die Auswahl des richtigen Tarifvertrags66 b)Hinreichende Bestimmtheit des Paragraph 1 Abs. 3a AEntG?69 c)Vereinbarkeit des AEntG mit dem Europarecht72 2.Rechtliche Fragen bezüglich des MindArbBedG72 II.Rechtliche Probleme einer möglichen branchenübergreifenden Lösung74 III.Der Stand der Entwicklung zum 16. 7. 200877 1.Der Regierungsentwurf zur Änderung des AEntG77 2.Der Regierungsentwurf zur Änderung des MindArbBedG79 Zusammenfassung und Ausblick81 LiteraturverzeichnisVIIITextprobe:Textprobe: Paragraph 2, Die aktuelle Mindestlohndebatte und ihre Hintergründe: Vor einer eingehenden Untersuchung der wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte von Mindestlöhnen in den Paragraphen 3 und 4 dieser Arbeit, werden in diesem Abschnitt zunächst die gewichtigsten Argumente, die in der aktuellen Mindestlohndebatte in Deutschland vorgebracht werden, dargestellt. An dieser Stelle sollen die kontrovers laufenden Meinungen sowie die Hintergründe für die Forderung nach Mindestlöhnen wiedergegeben werden. Dabei werden aktuelle Studien und Analysen einbezogen, welche unter Umständen eine Notwendigkeit von Mindestlöhnen in Deutschland indizieren könnten. Kapitel I, Die Meinungen: Das Thema Mindestlohn ist seit dem Beschluss der Großen Koalition vom 18.6.2007 ein fester Bestandteil der politischen und gesellschaftlichen Debatte. Es gibt reichlich Argumente pro Mindestlohn seitens der Mindestlohnbefürworter, insbesondere der Gewerkschaften und der SPD, aber mindestens auch ebenso viele Argumente contra Mindestlohn von den Mindestlohngegnern, zu denen die meisten Arbeitgeberverbände und große Teile der Unionsanhänger gehören. Während die meisten Wirtschaftsforscher zu den Mindestlohngegnern gehören und die Arbeitgeber im Kampf gegen Mindestlöhne unterstützen, gibt es überraschenderweise auch Arbeitgeberverbände, die die Existenz eines Mindestlohns für sinnvoll erachten. Die Gewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und ver.di haben dem Mindestlohn in einem gemeinsamen Projekt sogar einen eigenen Internetauftritt gewidmet. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat eigens für den Mindestlohn eine Internetseite geschaffen. Auf Arbeitgeberseite enthält der Internetauftritt der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ebenfalls eine eigene, feste Rubrik zum Thema Mindestlohn. Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick über die am häufigsten vorgebrachten Argumente pro und contra Mindestlöhne geben. Hierbei werden sowohl die wirtschaftlichen, als auch die juristischen Bedenken bzw. Probleme, die ein staatlich festgesetzter Mindestlohn mit sich bringt, skizziert. Kapitel 1, Die Argumente der Mindestlohnbefürworter: Von den Mindestlohnbefürwortern werden als Argumente für einen Mindestlohn hauptsächlich die seit Jahren steigende Zahl der Niedriglohnempfänger bzw. das stetige Wachsen eines sog. Niedriglohnsektors in Deutschland sowie die Gefahr des Lohndumpings, u.a. durch die Öffnung des Arbeitsmarkts für osteuropäische Arbeitnehmer (als eine der Ursachen für das Wachsen des Niedriglohnsektors), herangeführt. Insbesondere die Tatsache, dass wohl immer mehr in Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmer so wenig verdienen, dass sie auf zusätzliche staatliche Unterstützung angewiesen sind, ist für Mindestlohnbefürworter ein völlig untragbarer Zustand, dem mit einem Mindestlohn abgeholfen werden soll. Insgesamt laufen die verschiedenen Argumente immer darauf hinaus, dass zunehmend Löhne bezahlt werden, die nicht den eigentlichen Wert der Arbeit widerspiegeln und dass tarifliche Regelungen allein kein geeignetes Mittel mehr sind, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. Kapitel a), Die Verhinderung von Lohndumping und ruinösem Wettbewerb: Ein Argument, welches für Mindestlöhne spricht, ist die Bekämpfung des Lohndumpings in Deutschland. Die Verhinderung dieses Lohndumpings, verursacht durch ausländische Arbeitnehmer, war ja schließlich auch der ursprüngliche Sinn und Zweck des im Jahr 1996 eingeführten AEntG. Durch den verstärkten Zustrom ausländischer Arbeitskräfte ist das Lohndumping eine reale Bedrohung für die bisherigen deutschen Einkommens- und Sozialstandards geworden. Es besteht die Gefahr, dass die Niedriglohnkonkurrenten aus dem Ausland die inländischen Beschäftigten verdrängen, welche wegen ihres höheren Lebenshaltungsniveaus mit den niedrigen Löhnen einfach nicht mithalten können. Daher sollen nach Ansicht der Mindestlohnbefürworter die einheimischen Beschäftigten mittels eines Mindestlohns vor einer Verdrängung durch ausländische Beschäftigte bewahrt werden. Denn durch den Mindestlohn würde der Lohndruck, der auf die Beschäftigten ausgeübt wird, ausgebremst. Man erhofft sich dadurch, dass es für die Unternehmen dann keinen Sinn mehr macht, die regulären Beschäftigten durch – dann ja nicht mehr billigere – ausländische Werkvertragnehmer auszutauschen. Die Zeitarbeit ist ein aktuelles Beispiel für eine Branche, in der man die ausländische Niedriglohnkonkurrenz fürchtet und deshalb einen Mindestlohn anstrebt. Hier soll es in Zukunft eine durch das AEntG festgelegte Lohnuntergrenze geben. Thomas Reitz, Deutschland-Chef der Zeitarbeitsfirma Manpower , befürwortet die Einführung eines Mindestlohns, um damit die Zeitarbeitsbranche in Deutschland gegen die Öffnung des Arbeitsmarkts für die osteuropäischen EU-Staaten im kommenden Jahr abzusichern. Neben dem Schutz der Arbeitnehmer vor einer Lohnspirale nach unten haben die Zeitarbeitsfirmen auch ein gar nicht so geringes Eigeninteresse an einem Mindestlohn für ihre Branche. Die Öffnung des Arbeitsmarkts würde laut Reitz zwangsweise einen Wettbewerb mit Niedriglöhnen entfachen, die die Zeitarbeitsfirmen mit ihrer Tarifbindung nicht bezahlen dürfen und auch nicht wollen. Insofern wird befürchtet, dass die osteuropäischen Konkurrenten mit niedrigen Löhnen und somit mit einem Preisvorteil die deutschen Wettbewerber vom Markt drängen könnten. Kapitel b), Jeder soll von seiner Arbeit ohne staatliche Zuschüsse leben können: An das Argument des Lohndumpings knüpft die Forderung an, dass ein Arbeitnehmer, der in Vollzeit arbeitet, von seiner geleisteten Arbeit auch ohne staatliche Zuschüsse leben soll. Die Zahl der Erwerbstätigen, die ihr Erwerbseinkommen durch Arbeitslosengeld II aufstocken müssen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Im September 2005 hatten über 900.000 Beschäftigte einen Anspruch auf ergänzendes Arbeitslosengeld II. Genau zwei Jahre später waren es schon knapp 1,3 Millionen. Dabei handelte es sich keineswegs nur um Personen, die in Minijobs orientiert an den Freigrenzen einen zusätzlichen Verdienst erzielten, sondern häufig auch um Vollzeitbeschäftigte, deren Erwerbseinkommen einfach nicht ausreichte, um ihren Bedarf im Haushaltskontext abzusichern. Das Problem dabei ist, dass Niedriglohn-bezieher, insbesondere wenn sie in Vollzeit arbeiten, wie andere eine Arbeitsleistung erbringen und sich denselben Belastungen aussetzen, sich aber mit einem Lebensstandard begnügen müssen, der das Niveau der Sozialhilfe kaum übersteigt. Zudem sind auch die Aussichten auf einen Aufstieg in einen Job mit einem höheren Verdienst meist minimal. Nach Ansicht der SPD kann es nicht sein, dass Unternehmen Menschen in die Bedürftigkeit drängen und dann der Staat dauerhaft einen Teil der Löhne bezahlt. Man könne sich nicht damit abfinden, dass Löhne nicht zum Leben reichten und Dumpinglöhne aus Steuergeldern aufgestockt werden müssten. Zudem würden auch die Unternehmen von Mindestlöhnen profitieren, weil diese sog. Schmutzlöhne verhinderten. Reitz ist ebenfalls der Ansicht, dass eine Vollzeitkraft in Deutschland soviel verdienen soll, dass sie ohne staatliche Zuschüsse auskommt.
Der vorliegenden Arbeit liegt die Fragestellung zugrunde, welche Auswirkungen von der einzelbetrieblichen Investitionsförderung (EIF) unter verschiedenen agrarpolitischen Rahmenbedingungen zu erwarten sind. Neben dem Einfluß der EIF auf den Agrarstrukturwandel werden dabei die Transfereffizienz und der Beitrag zur volkswirtschaftlichen Wohlfahrt untersucht. Die methodischen Grundlagen bilden neben einer deskriptiven Analyse des Arbeits- und Kapitalmarktes, des polnischen Agrarkreditprogrammes und desgleichen der Untersuchungsregion der Wojewodschaft Torun, die klassischen Instrumente der Investitionsanalyse. Darüber hinaus wurde ein einzelbetrieblich fundiertes, auf rekursiv-linearer Programmierung basierendes Regionalmodell, vom Typ eines 'independent farm models' erstellt. Die daraus generierten Daten werden mit einer erweiterten Nutzen-Kosten-Analyse verrechnet. Für die Modellrechnungen wurden die beiden Szenarien 'Fortführung der derzeitigen Agrarpolitik' und 'Übergang zur Agenda 2000' mit jeweils zwei Unterszenarien: 'mit EIF' und 'ohne EIF', ausgewählt. Mit Hilfe der erweiterten Nutzen-Kosten-Analyse konnte gezeigt werden, daß die EIF - abweichend von der neoklassischen Sichtweise - bei den vorliegenden Ungleichgewichten am Arbeits- und Kapitalmarkt eine positive Wohlfahrtswirkung ausüben kann. Diese ist dann zu erwarten, wenn der Gewinnanstieg der Betriebe durch die Investitionen, die ohne die EIF nicht zustande gekommen wären, zusammen mit den zusätzlichen Lohnzahlungen und zusätzlichen Pachteinnahmen die aufgewendeten Zinssubventionen übersteigt. Die Modellrechnungen weisen durch die Kapitalsubventionierung einen Anstieg der Investitionstätigkeit vorwiegend für Neubauten und Erweiterungsinvestitionen aus. Die geförderten Betriebe können ihr Einkommen z.T. deutlich steigern. Durch die Investitionsförderung wird in dem betrachteten Zeitraum weder die generationswechsel- noch die liquiditätsbedingte Betriebsaufgabe wesentlich beeinflußt. In beiden Szenarien verringert sich durch die Förderung die Insolvenzrate der Betriebe, die auch ohne die EIF investiert hätten. Betriebe, die durch die EIF ihr Investitionsvolumen ausweiten können, sind in den Folgejahren einer etwas höheren Insolvenzrate ausgesetzt. Im Zuge des Generationswechsels scheiden fast ausschließlich die kleinen Familienbetriebe aus der Produktion aus. Deren Opportunitätskosten der Weiterbewirtschaftung sind auch bei dem unterstellten höheren Erzeugerpreisniveau im Szenario 2 ("Übergang zur Agenda 2000") nicht gedeckt. Die Simulationen weisen für den Betrachtungszeitraum ebenfalls nur einen sehr geringen Einfluß der EIF auf die durchschnittliche Flächenausstattung der Betriebe aus. Es treten sowohl Betriebstypen auf, deren Flächenwachstum durch die Förderung beschleunigt wird, als auch Betriebstypen, die im Unterszenario 'mit EIF' weniger Flächen hinzunehmen können. Letzteres gilt speziell für überdurchschnittlich gut wirtschaftende Betriebe, die auch ohne die EIF investieren und Flächen aufstocken können. Werden durch die Zinssubventionierung schwächeren Betrieben Investitionen ermöglicht - und dadurch deren Konkurrenzkraft um landwirtschaftliche Flächen gestärkt - können die besser geführten Betriebe z.T. weniger Flächen hinzunehmen. Bei dem vergleichsweise niedrigen Erzeugerpreisniveau im Szenario 1 ('Fortführung der derzeitigen Agrarpolitik') wird der Pachtpreis durch die EIF weder im Niveau noch im Verlauf spürbar beeinflußt. Im Szenario 2 dagegen steigt durch die EIF, bedingt durch umfangreichere Investitionen in der bodengebundenen Produktion, die Zahlungsbereitschaft für landwirtschaftliche Flächen. Den Modellrechnungen zufolge nimmt durch die Investitionsförderung der tatsächliche Arbeitseinsatz zu; es werden aber kaum zusätzliche Fremdarbeitskräfte beschäftigt. Dies geht auf den sowohl in den bäuerlichen Betrieben als auch in den ehemals staatlichen Betrieben sehr hohen Arbeitskräftebesatz zurück. Die EIF leistet daher im wesentlichen einen Beitrag zur Verringerung der versteckten, nicht aber der offenen Arbeitslosigkeit. Im Szenario 1 werden durch die EIF, bedingt durch die geringen Produktpreise, primär überdurchschnittlich gut wirtschaftende Betriebe begünstigt. Im Szenario 2 ('Übergang zur Agenda 2000') dagegen können zwar diese Betriebe nach wie vor höhere Gewinne erzielen, eine weitere Differenzierung zwischen den überdurchschnittlich und den unterdurchschnittlich gut geführten Betrieben erfolgt allerdings nicht. In beiden Szenarien übt die EIF eine positive Wohlfahrtswirkung aus. Gleichfalls ist bei den meisten Betrieben die Transfereffizienz größer als eins. Als wesentliche Ursache für den positiven Wohlfahrtsbeitrag erwiesen sich die Unvollkommenheiten des Kapitalmarktes; insbesondere die Vergabe von zumeist nicht fristenkongruenten Darlehen ist hier von Bedeutung. Die EIF kann in dieser Situation die Finanzierung betriebswirtschaftlich rentabler Investitionen erleichtern und dazu beitragen, daß Betriebe trotz der Bedienung nicht fristenkongruenter Darlehen solvent bleiben. In den Schlußfolgerungen wird die EIF als ein politisches Instrument ausgewiesen, das, sofern man in den Strukturwandel eingreifen und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe stärken möchte, vorübergehend durchaus geeignet sein kann. Als eine unabdingbare Voraussetzung ist die Kopplung mit einem Instrument nötig, das die Freisetzung von Flächen fördert, die konsequente Selektion entwicklungsfähiger Betriebe und die verstärkte Förderung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in den außerlandwirtschaftlichen Sektoren. ; The PhD thesis presented here is based on the question of which consequences can be expected from (single farm) investment promoting measures (EIF) regarding different agricultural policies. In addition to the influence of the EIF on the agricultural structural change, its transfer efficiency and contribution to the welfare of the national economy will be examined. The methodical fundamentals are, in addition to a descriptive analysis of the employment and capital markets the Polish agricultural credit program and the area of investigation, the Wojewodschaft Torun, the classical instruments for the investment analysis. Moreover, a single-farm based type of "independent farm model" has been created along the lines of a recursive-linear programmed regional model. The data generated from that will be used for calculations in an extended cost-benefit analysis. In the simulations, both scenarios "Continuation of the Present Agrarian Policies" and "Transition to the Agenda 2000? with respectively 2 sub-scenarios: "with EIF" and "without EIF" have been chosen. With the help of the extended cost-benefit analysis, it is possible to show that EIF, differing from the neo-classical viewpoint - is able to exercise a positive welfare effect with existing imbalances in the employment and capital markets. This can be expected when the profit increase of the farms through investments that would not have been achieved without the EIF together with the additional payments of wages and additional leasing income exceeds the expended interest subsidies. The calculations reveal through capital subsidies an increase in the investment activity, mainly for new buildings and expansion investments. The majority of the promoted farms can clearly increase their income. The investment promotion during the observed period of time has no essential influence on the closing down of farms neither through the generation change nor through reasons of liquidity. In both scenarios, the insolvency rate of the farms that would have invested even without the EIF is reduced through the promotion. Farms that are able to expand their investment volume, will receive a somewhat higher insolvency rate in the years that follow. In the course of the generation change, it is almost only the small family farms that close down. Their opportunity costs for the continuation of running the business are not covered even by the assumed higher product price level in scenario 2 ("Transition to the Agenda 2000"). The simulations reveal only a very slight influence of the EIF on the average amount of worked farmland of the farms in the period of observation. Types of farms appear whose area growth is accelerated by the promotion, while others can acquire even fewer areas in the sub-scenario ?with EIF?. The latter is especially true in the case of well-managed superior farms, that could invest and stock up on areas even without the EIF. If weaker farms are enabled to invest through the interest subsidies - and therefore strengthened in their competitive capacity for agricultural areas - then the better managed farms can in part acquire less areas. With the comparatively low product price level in scenario 1 ("Continuation of the Present Agrarian Policies") the leasing price is not perceptively influenced through the EIF neither in the level nor over the course of time. Contrarily in scenario 2, through more extensive investments in land related production, the EIF causes leasing prices to increase. According to the calculations, the actual work required increases through the investment promoting; hardly any additional outside work capacities are employed. This is a result of the existing extremely high amount of work capacities in the family farms as well as in the former state-owned farms. The EIF delivers therefore an contribution towards the reduction of hidden, but not of open unemployment. Through the EIF in scenario 1, primarily superior well-managed farms will profit, as a result of the low product prices. In scenario 2 ("Transition to the Agenda 2000") however, the better farms can achieve higher profits as previously, a further differentiation between the superior and inferior well managed farms does not result. In both scenarios, the EIF has a positive welfare effect. Likewise, in most farms the transfer efficiency is greater than one. The imperfection of the capital market has proved itself to be an essential cause for the positive welfare contribution; especially the awarding of mostly non time period congruent loans is meaningful here. The EIF can simplify the financing of profitable investments and contribute toward the farms retaining their solvency in spite of the use of non time period congruent loans. In conclusion, the EIF is revealed as a political instrument, that is certainly temporarily suitable, provided that one wants to take hand in the structural change and wants to strengthen the competitive ability of the farms. An indispensable requirement for this, is the coupling with an instrument that encourages the leasing out of farmland, the consequent selection of farms capable of development and the strengthened promotion of additional jobs in the non-agricultural sectors.
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Lange hat die Bundesagentur für Sprunginnovationen auf ihr versprochenes Freiheitsgesetz gewartet. Jetzt liegt endlich der Entwurf vor – und kann sich sehen lassen.
Bild: Roy Harryman / Pixabay.
DIE BUNDESAGENTUR, die so anders sein soll, hat sich selbst die Abkürzung SPRIND gegeben, doch ihr Freiheitskampf mit der Politik erinnerte bislang eher an einen Hürdenlauf. Jetzt immerhin könnte es soweit sein: 17 Monate nach Amtsantritt der Ampel-Koalition, drei Jahre nach dem offiziellen Start der Bundesagentur für Sprunginnovationen und fast fünf Jahre, nachdem das Kabinett die SPRIND-Gründung beschlossen hat, ist die Bundesregierung kurz davor zu beweisen, dass sie das mit der einst versprochenen Neuerfindung der staatlichen Innovationsförderung wirklich ernst gemeint hat.
Die Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF), für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), für Finanzen (BMF) und der Justiz (BMJ) haben sich nach langem Stillstand auf den Referentenentwurf für ein Gesetz geeinigt, das – so melodramatisch wie treffend –"Gesetz zur Befreiung der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND)" heißen soll, kurz "SPRIND-Freiheitsgesetz".
Um das umzusetzen, was die Bundesregierung eigentlich von Anfang an hätte tun müssen und was der Ampel-Koalitionsvertrag dann endlich angekündigt hatte: die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Agentur so "substanziell" zu verbessern, dass sie freier agieren und investieren könne. Das heißt: unternehmerischer und flexibler als alle bisherigen staatlichen Fördereinrichtungen.
Der Umgang mit einem Paradox
Was deshalb so nötig ist, weil die SPRIND da ansetzen soll, wo Deutschland im internationalen Vergleich auffällig schwach ist: bei der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in völlig neue technologische, soziale und wirtschaftliche Ansätze, die als disruptive Innovationen ganze Branchen und gesellschaftliche Gewohnheiten verändern. Wovon letztendlich der künftige Wohlstand mit abhängt. Solche Durchbrüche vorbereiten zu wollen, hört sich nach einem Paradox an, ist aber keines, denn mit den richtigen Rahmenbedingungen werden sie zwar nicht planbar, aber wahrscheinlicher.
Was dafür nötig ist: vor allem das strategische Eingehen von Risiko bei der Vergabe von Fördermitteln, neue finanzielle Beteiligungsformate und mitunter extrem schnelle Entscheidungswege. Alles Dinge, die kaum kompatibel sind zu Rechtsgrundlage und Arbeitsweise staatlicher Stellen.
Immerhin hatte die SPRIND in den vergangenen zwei Jahren auch ohne neues Gesetz schon ordentlich Fahrt aufgenommen, so dass das BMF im April an den Haushaltsausschuss die nahezu volle Ausschöpfung des Agenturbudgets für dieses Jahr vermelden konnte. Doch das, betonte SPRIND-Chef Rafael Laguna de la Vera damals, sei nur dank jeder Menge Verrenkungen möglich gewesen. Man verbringe viel zu viel Zeit mit Bürokratie "und der Produktion schöner Papiere. Wir müssen schneller werden und mehr von unserer Kraft auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren können". In den Monaten zuvor hatte Laguna sogar indirekt mit seinem Rücktritt gedroht, wenn nicht bald ein kraftvolles Befreiungsgesetz komme.
Fest steht: Wenn der Gesetzentwurf im Verlauf der restlichen Ressortabstimmung und dann im Parlament nicht zu sehr entkräftet wird, wovon nicht auszugehen ist, hat Lagunas Agentur künftig ordentlich Rückenwind für ihre Arbeit. Womit auch der Erwartungsdruck auf die SPRIND weiter steigt, denn der Hinweis auf die miesen rechtlichen Rahmenbedingungen zieht dann nicht mehr.
Große Freiheit, viel Verantwortung
Was der Gesetzentwurf im Einzelnen vorsieht:
o Statt den drei Ministerien BMBF, BMWK und BMF ist künftig nur noch ein Ministerium, das BMBF, für die Aufsicht über SPRIND zuständig und soll sich möglichst auf die Rechtsaufsicht beschränken, da der Aufsichtsrat bereits große Teile der Fachaufsicht übernommen hat.
o Die SPRIND soll mit Förderaufgaben auf dem Gebiet der Sprunginnovationen "beliehen" werden, was bedeutet, dass die Agentur künftig selbstständig ihre Förderentscheidungen treffen kann und dafür nicht mehr die Zustimmung der Bundesministerien braucht. Was unter Sprunginnovationen zu verstehen ist und wie diese transparent identifiziert und gefördert werden sollen, soll zuvor durch einen Beleihungsvertrag zwischen SPRIND und Bund festgelegt werden.
o Auch über Tochtergesellschaften und Unternehmensbeteiligungen kann SPRIND künftig selbst bestimmen. Allerdings behält der Bund als Alleingesellschafter weitreichende Rechte, so kann er zum Beispiel Beschlüsse des SPRIND-Aufsichtsrats (indem er vertreten, aber in der Minderheit ist) aufheben, die seines Erachtens dem Bundesinteresse zuwiderlaufen.
o Die SPRIND soll öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Förderinstrumente "im Einklang mit den für öffentliche Unternehmen geltenden Rahmenbedingungen" gleichermaßen nutzen können. Wenn sich SPRIND an einem Unternehmen beteiligt, ist das bis zu 25 Prozent ohne weitere Befassung der Bundesministerien möglich (was allerdings Standard ist). Interessant wird es bei Beteiligungen über 25 Prozent: Hier ist geregelt, dass das Finanzministerium binnen drei Monaten nach Eingang der vollständigen Antragsunterlagen entscheiden muss – andernfalls gilt die Zustimmung bis zu einer Grenze von zehn Millionen Euro als erteilt.
o Der Agentur soll eine flexiblere Haushaltsführung ermöglicht werden, um auf Änderungen bei hochrisikoreichen Projekten unmittelbar reagieren und neuen Projekten flexibel begegnen zu können. Dazu gehört die Zuweisung sogenannter Selbstbewirtschaftungsmittel, wie sie die außeruniversitären Forschungsorganisationen seit vielen Jahren ebenfalls haben (und für deren Handhabung regelmäßig vom Bundesrechnungshof kritisiert werden). Künftig soll SPRIND Fördergelder zwischen den Jahren verschieben dürfen, ohne dass nicht ausgegebene Millionen am Jahresende weg sind. So können die Projekte das nötige Geld dann bekommen, wenn sie es brauchen – auch wenn der Mittelabfluss später sein sollte als zunächst geplant. Es gibt aber eine Obergrenze: Maximal 30 Prozent der jeweils veranschlagten SPRIND-Haushaltsmittel dürfen als Selbstbewirtschaftungsmittel ins nächste Jahr mitgenommen werden.
o SPRIND wird zu 50 Prozent an den Einnahmen, die sich aus den erfolgreich geförderten Projekten ergeben sollten, beteiligt und kann so seinen Haushalt weiter aufstocken.
o Die Agentur, ihre Tochtergesellschaften und die von ihr geförderten Unternehmen sollen bessere Gehälter zahlen dürfen als sonst in der Verwaltung üblich – sofern dafür zwingende Gründe vorliegen. Womit das meist für öffentliche Einrichtungen geltende sogenannte Besserstellungsverbot eingeschränkt wird (für außeruniversitären Forschungseinrichtungen gilt das ebenfalls bereits). In den ersten beiden Jahren der SPRIND-Förderung wird es für private Unternehmen sogar komplett aufgehoben, ansonsten entscheidet SPRIND in vielen Fällen selbst über den Gehaltsrahmen bei den geförderten Unternehmen. Bereits jetzt gibt es eine Freistellung für die SPRIND-eigenen Innovationsmanager und für die MINT-Berufe in den Tochtergesellschaften.
Ein doppelter Befreiungsschlag
Am Mittwoch kommt der Gesetzentwurf in den Haushaltsausschuss (HHA) des Bundestages, parallel läuft die Abstimmung mit den übrigen Ressorts. Warum der HHA nicht erst danach drankommt? Weil für SPRIND kurzfristig einiges dranhängt: Der Ausschuss hatte, wie er es häufig bei neuen Haushaltstiteln tut, 20 Prozent der Agenturmittel für 2023 gesperrt. Weshalb die für April geplante Gründung zweier weiterer SPRIND-Tochtergesellschaften verschoben werden musste. Die vom Finanzministerium beantragte Freigabe von 23 der gesperrten 30 Millionen hatte der Ausschuss aber davon abhängig gemacht, dass die federführenden Ministerien sich zuerst in Sachen SPRIND-Freiheitsgesetz einigen.
Mehr Geld ist mit dem neuen Gesetz übrigens nicht verbunden. So bleibt das SPRIND-Budget mit derzeit knapp 150 Millionen Euro überschaubar, ja mickrig im Vergleich zu den gut vier Milliarden Dollar, die dem großen US-Vorbild DARPA im Jahr zur Verfügung stehen. Über den weiteren Zeitplan für das parlamentarische Verfahren bis zum Inkrafttreten des Gesetzes schweigen sich die BMBF, BMWK & CO übrigens offiziell aus, intern heißt es: Noch dieses Jahr sei das Ziel.
Kommt das SPRIND-Befreiungsgesetz in der geplanten Form, wäre es in jedem Fall eine doppelte Befreiung: für die Agentur selbst, aber auch für die Bundesregierung – weil sie nach langem Hin und Her doch zeigen würde, was möglich ist mit einem modernen Staatsverständnis. Einst sollte SPRIND die Blaupause werden für andere staatliche Förderagenturen, vor allem für die immer noch nicht gegründete Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI). Zwischendurch war es angesichts der vielen Barrieren, die SPRIND in den Weg gelegt worden waren, auffällig still geworden um die angestrebte Vorbildfunktion. Jetzt könnte es damit doch noch etwas werden. Und vielleicht ginge es dann auch mit der auf Eis gelegten Neuauflage des DATI-Gründungskonzeptes endlich vorwärts. Das BMBF hatte es intern zuletzt für Ende März angekündigt.
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Was Politik und SPRIND zu dem Gesetzentwurf sagen
Es habe sich schnell gezeigt, dass SPRIND eingezwängt ins deutsche Haushaltsrecht, "ihr Potenzial nicht voll entfalten konnte", sagte Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger (FDP) dem Handelsblatt. Daher "befreien wir die SPRIND jetzt von unnötigen bürokratischen Fesseln und geben ihr viele Freiheiten". Das sei ein wichtiges Signal für den Innovationsstandort Deutschland und werde mehr Sprunginnovationen ermöglichen.
Tatsächlich hatten Experten schon vor Gründung der Agentur vor den Folgen einer zu starken Regulierung gewarnt und die beteiligten Bundesministerien zunächst zur Zurückhaltung in der Agentur-Governance aufgerufen. Zunächst vergeblich, in den vergangenen Jahren hatte es dann bereits substanzielle Veränderungen etwa bei der Zusammensetzung und Stellung des SPRIND-Aufsichtsrates gegeben.
"Mit dem SPRIND-Freiheitsgesetz bringen wir die Agentur international auf Augenhöhe", sagt die parlamentarische BMWK-Staatssekretärin Franziska Brantner, "und ermöglichen ihr, bahnbrechende Ideen in Deutschland zu halten und daraus gelingende Geschäftsmodelle zu machen." Zudem steige die Attraktivität der SPRIND als Arbeitgeber für hochspezialisierte Fachkräfte, gerade aus den MINT-Fächern. "Die SPRIND muss die besten Leute gewinnen können, damit diese aus einem Meer von Ideen die vielversprechendsten Innovationen herausfischen und fördern können."
SPRIND-Direktor Laguna lobte, der Gesetzentwurf folge dem Anspruch des Ampel-Koalitionsvertrages. Neben öffentlich-rechtlichen könnten künftig auch privatrechtliche Finanzierungswerkzeuge eingesetzt werden. Erstmals könne sich SPRIND auch an bestehenden Unternehmen finanziell beteiligen und Erträge erwirtschaften. Die Möglichkeit, einen Teil der Mittel auch überjährig zu investieren, gebe SPRIND die dringend erforderliche Flexibilität beim Einsatz der Mittel. "In der Summe zeigt der Gesetzestext neue Wege auf für ein schnelleres, weniger bürokratisches und damit effizienteres staatliches Handeln – das dringend für die anstehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationen benötigt wird."