Wohnungsbau und Industrialisierung in Deutschland von 1850 bis 1913
Abstract
Die Erforschung der Industrialisierung ist eines der zentralen Themen der Wirtschaftsgeschichtsschreibung. Sie trägt dazu bei, die Funktionsweisen unserer heutigen Wirtschaft besser zu verstehen. Der Wohnungsbausektor wurde im Schrifttum zur deutschen Industrialisierungsgeschichte bisher vernachlässigt. Die vorliegende Arbeit möchte mit der Analyse dieses Sektors eine Lücke schließen. Nicht nur Stahl, Kohle Eisenbahn waren für die Industrialisierung von Bedeutung, sondern in einer Zeit wachsender Bevölkerung auch die Sektoren, die Güter zur Befriedigung der sogenannten "basic needs" produzierten, wie Nahrung, Kleidung und Wohnung. Dem Wohnungsbausektor kam wegen seines investiven Charakters hierbei eine besondere Rolle zu.
Als ein besonders lohnender Untersuchungszeitraum für die Analyse des Wohnungsbausektors im Zeitablauf bietet sich das 19. Jahrhundert an. In diesem Zeitraum hat es einen großen Wandel in der deutschen Wirtschaft gegeben. Eine agrarisch orientierte Gesellschaft formte sich zu einer Industriegesellschaft, die ihre Versorgung über Märkte regelte und deren Bevölkerung in die Städte drängte. Das Elementarbedürfnis 'Wohnen' wurde durch Marktproduktion befriedigt; es entstanden städtische Wohnungsmärkte. Man sprach von 'Wohnungsproduktion'. In einem direkten Zusammenhang mit der Industrialisierung steht das Aufkommen von Wohnungsbauzyklen. Die Wohnungsproduktion durchlief Zeiten hitziger Spekulationsbooms, die sich mit Konkurswellen und darauffolgenden Stagnationen in der Wohnungswirtschaft ablösten. Der Wohnungsbausektor eignet sich wie wohl kein anderer Sektor dazu, die zeitliche Dimension des Industrialisierungsprozesses, zu der neben dem Wachstum auch die Zyklizität der Entwicklung gehörte, zu betrachten. Für die Städte Berlin, Hamburg, München Frankfurt und Dortmund wurden Daten zusammengetragen, die für die Analyse der Wohnungsbauinvestitionen in Frage kamen. Der Autor lehnt sich methodisch an die Ökonometriker an. Damit steht die Arbeit in der Tradition der "New Economic History School", die sich seit den 60iger Jahren, ausgehend von Amerika, eine Annäherung zwischen der Volkswirtschaftstheorie und der Geschichtswissenschaft (insbesondere auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte) gebracht hat.
"Im ersten Teil der Arbeit wird auf die quantitative Bedeutung des Wohnungsbausektors während der deutschen Industrialisierung sowie auf die qualitative Bedeutung dieses Sektors für die Erklärung dieser Industrialisierung eingegangen. In dem zweiten Teil der Untersuchung werden die Wohnungsbauinvestitionsverläufe in verschiedenen deutschen Städten beschrieben und miteinander verglichen. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Vergleich hinsichtlich der Konjunktur zu. Im dritten Teil wird dann versucht, am Beispiel Hamburgs die jeweilige Investitionshöhe im Wohnungsbau zu erklären. Hierzu wird, nach der Betrachtung einzelner, mit dem Wohnungsbau in Verbindung stehender Märkte, ein ökonometrisches Modell formuliert und getestet. Im Teil IV wird dann versucht, die Wohnungsbauzyklen mit Hilfe des in Teil III formulierten Modells zu erklären. In Teil V werden, anknüpfend an die in Teil I aufgeworfenen Fragestellungen, die Ergebnisse der hier vorliegenden Arbeit zusammengefasst, und es wird versucht, daraus resultierende Erklärungsbeiträge für die deutsche Industrialisierungsgeschichte aufzuzeigen" (Wellenreuther, T., a. a. O., S. 39).
"Um für die Entwicklungen in den einzelnen Städten vergleichen zu können, mußten zunächst Indikatoren gefunden werden, die den Verlauf der Wohnungsbauinvestitionen in einzelnen Städten über einen längeren Zeitraum Da in einigen Städten nur Mengenangaben vorliegen, haben wir uns wegen der Vergleichbarkeit entschieden, durchgängig Mengenindikatoren zur Beschreibung der Wohnungsbauinvestitionen herangezogen. … Bei Wohnungsbauinvestitionen handelte es sich um ökonomische Aktivitäten mit dem physischen Output Wohnraum. … Außerdem hatte dieser Output eine Wertdimension. Benutzt man nur reine Mengenreihen als Indikatoren, so vernachlässigt man den Qualitätsaspekt, Wertreihen beinhalten zwar den Qualitätsaspekt, haben aber gegenüber den Mengenreihen den Nachteil, dass die Werte, wie sie empirisch vorliegen, in Geldbeträgen angegeben sind. Dies führt zu Verzerrungen, wenn Preisänderungen vorlagen, die nicht durch Qualitätsveränderungen hervorgerufen wurden, sondern durch Inflation oder durch Veränderungen im Gefüge der Preisrelationen. … Da die Baukosten kurz- und mittelfristig starken Schwankungen unterlagen, geben Wertreihen zu laufenden Preisen ein verzerrtes Bild von der Bautätigkeit" (Wellenreuther, T., a. a. O., S. 40, 41, 42). Das ökonometrische Modell, das der Autor theoretisch entwickelt, stellt hohe Anforderungen an die Daten. So konnte das Modell, welches zur Erklärung der Wohnungsbauinvestitionen und deren Konjunktur herangezogen wurde, nur am Beispiel Hamburgs getestet werden, da nur hier die benötigten Daten vollständig vorhanden waren. Der Vergleich mit anderen deutschen Städten zeigt allerdings in dieser Untersuchung, dass es sich um keine Ausnahmeerscheinung in Deutschland gehandelt hat, dass vielmehr die Hamburger Entwicklung als repräsentativ für die Gesamtentwicklung angesehen werden kann.
Datentabellen in HISTAT:
A. Tabellen für Deutschland
A.01 Der private Verbrauch an Wohnungen und der gesamte privater Verbrauch in Deutschland (1850-1913)
A.02 Das in nichtlandwirtschaftliche Wohnungen gebundene Kapital und der gesamte Kapitalstock in Deutschland (1850-1913)
A.03 Die Investitionen in nichtlandwirtschaftliche Wohnungen und die gesamten Investitionen in Deutschland (1851-1913)
A.04 Die Struktur der Nettoinvestitionen nach Wirtschaftsbereichen in Deutschland, in Prozent (1851-1913)
A.05 Bevölkerung, Eheschließungen und Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland (1851-1913)
A.06 Kapitalstock und Investitionen in nichtlandwirtschaftliche Wohnungen in Deutschland (1850-1913)
B. Tabellen für Hamburg
B.01 Feuerversicherungssummen und Zahl der vorhandenen Gelasse in Hamburg (1869-1913)
B.02a Konstruktion eines Zinsindexes für Hamburg (1872-1912)
B.02b Baukostenindex für Hamburg, 1913 = 100 (1871-1913)
B.03 Der Hypothekenzinsfuß in Hamburg (1835-1883)
B.04 Die Zinsentwicklung in Hamburg (1872-1913)
B.05a Anteil der Wohngelasse an der Gesamtzahl der privat genutzten Gelasse in der inneren Stadt Hamburgs (1890-1918)
B.05b Anteil der Wohngelasse an der Gesamtzahl der privat genutzten Gelasse in ganz Hamburg (1890-1918)
B.05c Anteil der Wohngelasse an der Gesamtzahl der privat genutzten Gelasse in den äußeren Stadteilen Hamburgs (1890-1918)
B.06a Wertmäßiger Anteil der Wohnungen an dem Gesamtwert der privat genutzten Gelasse in der inneren Stadt Hamburgs (1890-1918)
B.06b Wertmäßiger Anteil der Wohnungen an dem Gesamtwert der privat genutzten Gelasse in ganz Hamburg (1890-1918)
B.06c Wertmäßiger Anteil der Wohnungen an dem Gesamtwert der privat genutzten Gelasse in den äußeren Stadteilen Hamburgs (1890-1918)
B.07 Zahl der in Hamburg vorhandenen Gelasse (1869-1913)
B.08 Die Mietentwicklung in den Vororten Hamburgs (1874-1913)
B.09 Anteil der leer stehenden Wohnungen, pro-Kopf-Einkommen, Eheschließungen bezogen auf den Wohnungsbestand in Hamburg (1874-1913)
C. Tabellen für Berlin
C.01 Zahl und Zunahme der in Berlin vorhandenen Gelasse (1849-1909)
D. Tabellen für Frankfurt
D.01 Zahl der Neubauten in Frankfurt (1863-1907)
D.02 Gebäudebestand in Frankfurt (1862-1907)
E. Tabellen für München
E.01 Zahl der Neubauten in München (1851-1911)
E.02 Gebäudebestand in München (1850-1911)
F. Tabellen für Dortmund
F.01 Zahl der neuerbauten Wohnhäuser in Dortmund (1854-1913)
F.02 Gebäudebestand in Dortmund (1853-1913)
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